Artenlexikon
Grauwal
Artenlexikon:
Verbreitung
Der Grauwal – der Welt weitester Wanderer
Als „Walpumpe“ verteilen Wale beim Auf- und Abtauchen Nährstoffe im Wasser und „düngen“ Algen. Eine wichtige Rolle, die lange unbekannt war – erst jetzt, da Wale geschützt sind, können sie ihre Wirkung wieder mehr entfalten. Doch der Kampf ist nicht vorbei: Walfang ist lukrativ, sogar wenn er verboten ist.
Körperliche Merkmale
Die Grauwale sind eine „monotypische“ Gattung, die Familie umfasst also nur eine einzige Art. Anders als ihre Artgenossen unter den Bartenwalen haben Grauwale keine Rückenfinne – sondern acht bis neun kleine, flache „Höcker“ auf dem hinteren Drittel des Rückens. Optisch wirken sie geradezu „verkrustet“, denn die Tiere reisen mit „Passagieren“: Walläuse (Cyamidae) und Seepocken (Balanidae) besiedeln Grauwale in großer Zahl. Die Haut der Grauwale ist unter allen Waltieren am stärksten von Organismen bewachsen. Der Kopf der Grauwale ist relativ kurz, schmal und gebogen. Die Tiere verfügen, wie alle Bartenwale, über zwei Blaslöcher. Entlang der Kehle verlaufen zwei etwa zwei Meter lange Furchen. Diese können sich ausdehnen, so dass das Maul sich weiter öffnet und das Tier größere Mengen Wasser und damit auch Nahrung aufnehmen kann. Grauwale haben rund 150 Barten, lange, fransige Hornplatten im Maul, die als Nahrungsfilter dienen. Bei Grauwalen sind diese gelblich weiß und mit maximal 38 Zentimetern kürzer als bei anderen Bartenwalen, da Grauwale ihre Nahrung – übrigens als einzige Walart – am Meeresgrund aufnehmen. Ausgewachsen sind die Tiere nach etwa 40 Jahren, die maximale nachgewiesene Lebensdauer der Grauwale beträgt etwa 70 Jahre.
Lebensweise und Fortpflanzung
Grauwale wandern weiter als jedes andere Säugetier – Ostpazifische Grauwale legen zwischen ihren Nahrungs- und Fortpflanzungsgründen – hin und zurück – bis zu 20.000 Kilometer zurück. Bei diesen „Wanderungen“ schwimmen Grauwale mit einer Geschwindigkeit von etwa acht Kilometern pro Stunde, können jedoch auch bis zu 20 Stundenkilometer erreichen. Wandernde Grauwale bewegen sich stetig voran, kommen alle drei bis vier Minuten an die Oberfläche und blasen drei bis fünfmal Luft aus. Der Blas, die Wasserfontäne, ist kurz und gegabelt, da er aus zwei Blaslöchern ausgestoßen wird. Beim letzten Atemausstoß wird oft die Schwanzfluke aus dem Wasser gestreckt, bevor der Wal wieder abtaucht. Dieses Auf- und Abtauchen der Tiere hat eine wichtige Funktion im Ökosystem: denn durch ihre Ausscheidungen tragen die Tiere Nährstoffe zwischen den Wasserschichten hin- und her. So werden Algen gedüngt, die wiederum Nahrungsquelle sind. Diese „Walpumpe“ war lange Zeit nicht erforscht – auch weil viele Walarten bereits stark dezimiert waren.
Grauwale sind soziale Tiere und leben in gemischten Gruppen mit Männchen, Weibchen und Jungtieren. Die Gruppengröße verändert sich im Laufe der Wanderzüge und variiert von einem bis zu elf Tieren. An den Nahrungsgründen in der Arktis treffen oft 100 und mehr Grauwale an einer Stelle zur Nahrungsaufnahme zusammen. Wie alle Wale kommunizieren sie über Laute – wenngleich ihr Repertoire kleiner zu sein scheint als das anderer Walarten. Sie verständigen sich über Grunzen, Klicken, Ächzen und Klopfen. Die Jungtiere kommunizieren mit ihren Müttern zudem über leise, hallende Töne. Die Hauptpaarungszeit der Grauwale ist im Dezember während der Wanderung nach Süden. Es sind allerdings das ganze Jahr über Paarungen zu beobachten. Zur Paarung drängen sich fünf und mehr Tiere im Wasser zusammen und schwimmen umeinander herum. Einige Wissenschaftler vermuten, dass die weiteren Tiere nötig sind, damit das eigentliche Paar für den Paarungsakt leichter zusammen bleiben kann. Walkühe kalben alle zwei Jahre, nach einer Tragzeit von etwa 13 Monaten. Meist im Januar kommt ein rund fünf Meter langes Kalb zur Welt. In den ersten Stunden ist das Junge mitunter noch zu schwach, um allein zu schwimmen und zu atmen. Die Mutter muss dann mithelfen, indem sie das Kalb mit ihrer Schwanzfluke oder ihrem Rücken an der Wasseroberfläche hält. Sieben Monate lang werden die Jungen in seichten Gewässern und Lagunen gesäugt. Danach begeben sich Mutter und Kalb auf die lange Wanderung zu den nördlichen Nahrungsgründen. Im Jahreszyklus wandern die Grauwale im Frühling zu den Nahrungsplätzen in der Arktis und im Herbst zu den Geburts- und Aufzucht-Gebieten in den wärmeren Gewässern im Süden.
Ernährung
Ostpazifische Grauwale nutzen im Sommer das reiche Nahrungsangebot in der Arktis. Von Mai bis November legen sie sich dann einen so dicken Fettpolster an, dass sie den Rest des Jahres so gut wie nicht mehr fressen müssen. Westpazifische Grauwale legen ihre Fettreserven vor der russischen Insel Sachalin an. Bis zur erneuten Rückkehr in die Nahrungsgründe im nächsten Frühjahr verlieren die Tiere bis zu einem Drittel ihres Körpergewichtes. Grauwale fressen Flohkrebse, Asseln, Borstenwürmer und Weichtiere, die am und im Meeresgrund leben. Zur Nahrungsaufnahme drehen sie sich am Meeresgrund auf die Seite und saugen Sediment und die darin befindlichen Tiere in ihr Maul ein. Diese Mischung aus Nahrung, Wasser und Sand wird durch die Barten hindurch gepresst, die Nahrung herausgefiltert. Grauwale fressen vorwiegend am Meeresgrund, mitunter filtern sie auch nach oben steigende Planktontiere wie Krebse, deren Larven, Heringsrogen und sogar kleine Fische aus dem Wasser.
Grauwal und Mensch
Da sie in Küstennähe leben, sind Grauwale seit jeher beliebte Ziele von Walfängern. Bis zum 17. Jahrhundert gab es Grauwale noch in drei großen Verbreitungsgebieten: Im Nordatlantik, im westlichen und im östlichen Nordpazifik. Heute existieren nur noch zwei Grauwalvorkommen im Ostpazifik und im Westpazifik. Auch die Populationen im Pazifik standen bereits kurz vor dem Aus. Bis heute haben sich nur die ostpazifischen Grauwalbestände wieder erholt. Die Westpazifischen Grauwale sind mehr denn je durch Öl- und Gasbohrungen, wie beispielsweise durch ein Konsortium unter der Leitung von Shell vor der Insel Sachalin bedroht. Doch auch Lebensraumverlust, Meeresverschmutzung, Lärmbelästigung, Kollisionen mit Schiffen oder Ertrinken als Beifang in Fischernetzen setzen den Tieren zu.
Eine große Bedrohung ist auch heute noch die Jagd auf Grauwale. 1986 trat ein Moratorium der Internationalen Walfangkommission in Kraft, mit dem der kommerzielle Fang auf Großwale verboten wurde, darunter auch die Jagd auf Grauwale. Doch das Moratorium hat erbitterte Gegner, die den lukrativen Walfang wieder legalisieren wollen. Norwegen hat Einspruch gegen das Moratorium eingelegt und jagt die Tiere kommerziell. Andere Staaten, darunter Japan, nutzten lange Zeit eine Lücke in den Bestimmungen, nämlich den Walfang zu wissenschaftlichen Zwecken. Japan ist 2019 dann auch aus der Internationalen Walfangkommission ausgetreten und hat daraufhin den kommerziellen Walfang wieder aufgenommen, beschränkt diesen jedoch auf die japanischen Hoheitsgewässer. Es gilt zu hoffen, dass die Nachfrage nach Walfleisch in Japan weiter sinkt und damit das Ende des Walfangs eingeläutet wird.
Der Wal in der Kulturgeschichte
„Teufelsfisch“ – so nannten Walfänger des 19. Jahrhunderts den Grauwal. Ein Spitzname, der die menschliche Ignoranz doppelt verdeutlicht, denn er ist gleich zweifach falsch: Nicht nur sind Wale keine Fische, berichtete Angriffe erfolgten keineswegs aus Aggression, sondern weil Muttertiere ihre Kälber schützten. Generell hat sich die Wahrnehmung des Wals in der Kulturgeschichte auf bemerkenswerte Weise gedreht: vom Meeresungeheuer und Feind zum friedlichen Riesen, der zum Symbolbild der menschlichen Zerstörungskraft gegenüber der Natur wird.
Schon in der Steinzeit waren Wale den Menschen bekannt, das zeigen etwa Felsmalereien, die in Norwegen gefunden wurden, genauso wie Werkzeuge, die aus Walknochen gefertigt wurden. Homer, Aristoteles und Plinius beschrieben die Tiere in der römischen und griechischen Antike, es besteht auch die Vermutung, dass das Meeresungeheuer, dem man Andromeda opfern wollte – bevor sie von Perseus gerettet wurde – ein Wal sein könnte. In moderner filmischer Interpretation (etwa in „Kampf der Titanen“ 2010) ist das Biest zum monströs überzeichneten Kraken geworden – wahrscheinlich ebenfalls aufgrund des Imagewandels des Wals.
Der Leviathan, ein Seeungeheuer der Bibel, ist so übermächtig, dass nur Gott es bezwingen kann – in den Darstellungen trägt es Züge von Drache, Schlange, Krokodil und Wal. Von einem Wal verschluckt wird außerdem der Prophet Jona, der im Bauch des Tieres drei Tage und Nächte um Erlösung betet und schließlich ausgespien wird.
Die berühmteste literarische Darstellung vom Wal als Widersacher ist wahrscheinlich Moby Dick, wenn auch das Tier sich in erster Linie in Ahabs Kopf als Antagonist etabliert hat und nicht in der Realität der Handlung. In Melvilles Roman wird der Wal zum Sinnbild sinnloser Rachebesessenheit und fanatischer Jagd, die nur im Verderben enden kann.
Im 20. Jahrhundert ist der Wal als „sanfter Riese“ mit seinen ätherischen Gesängen das Sinnbild des Schadens, den der Mensch in der Natur anrichtet. In Walt Disneys „Free Willy“ ist der Wal durch Gefangenschaft gebrochen und wird schließlich durch ein Kind in die Freiheit entlassen, das den Kreis durchbricht. Und nicht zuletzt: In „Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart“ ist das Gesang der Buckelwale die letzte Hoffnung der Menschheit auf Rettung. Ironischerweise wurden sie aber im 21. Jahrhundert ausgerottet, so dass die Crew aus dem 23. Jahrhundert zurückreisen muss, um den Planeten zu retten.
Projekte und Engagement des WWF
Delfine und Wale wie die Grauwale gehören zu den Leitarten des WWF. Ihr weltweiter Schutz gehört zu unseren obersten Zielen. Der WWF unterstützt deshalb Projekte zum Schutz bedrohter Walarten – durch Förderung von Walschutzgebieten, Entwicklung von Maßnahmen gegen unbeabsichtigten Beifang von Walen in Fischernetzen oder durch Studien über den Einfluss der Meeresverschmutzung auf die Wale.
Auch auf das Drängen des WWF wurde das Moratorium 1986 ins Leben gerufen. Wir waren weiters maßgeblich an der Errichtung des Walschutzgebietes in den Gewässern der Antarktis 1994 beteiligt: 50 Millionen Quadratkilometer wurden als Schutzgebiet ausgewiesen. Im nördlichen Mittelmeer wurde 1999 mit Hilfe des WWF ein 85.000 Quadratkilometer großes Schutzgebiet ausgewiesen, in dem insgesamt 13 Walarten vorkommen.
Auch neue Schutzgebiete werden forciert: Mit unseren Stellungnahmen, wissenschaftlichen Informationen und Interventionen konnten wir erreichen, dass Polen, Schweden und Dänemark verpflichtet wurden, weitere Gebiete zum Schutz des Schweinswals auszuweisen. In die Prozesse zur Ausweisung des ersten Schutzgebietes auf der Hohen See im Nordostatlantik sind wir ebenfalls intensiv eingebunden. Auch touristische Walbeobachtung wird vom WWF unterstützt und ist – zum Beispiel in Island – eine sich wirtschaftlich lohnende Alternative zur Waljagd.
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