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© Karin Enzenhofer

Wie geht es der Artenvielfalt im Österreichischen Wald?

Große Artenvielfalt gibt es nur in möglichst naturnahen Wäldern

Waldbiodiversität, also die Vielfalt der Pflanzen und Tiere in Wäldern, hat sich in Millionen von Jahren, ungestört vom Menschen, entwickelt. In unseren heutigen bewirtschafteten Wäldern findet nur noch ein Teil aller ursprünglichen Arten einen geeigneten Lebensraum. Die Artenvielfalt in heimischen Wäldern ist eng mit den natürlichen Waldentwicklungsphasen verknüpft. Während im Urwald ein vollständiger Zyklus der Waldentwicklung bis zu 600 Jahre und länger dauern kann, so wird in den Wirtschaftswäldern die Entwicklung bereits nach 80-140 Jahren durch die Holzernte abrupt unterbrochen. Daher sind in unseren Wirtschaftswäldern auch kaum mehr späte Entwicklungsphasen anzutreffen, obwohl sie in Urwäldern mehr als 60 % der Waldfläche einnehmen und auch in zeitlicher Hinsicht dominieren.

Die folgende Grafik zeigt eine Übersicht der Waldentwicklungsphasen in Urwäldern (Scherzinger 1996):

Wald

“Junge” Wälder, weniger Artenvielfalt

Das “frühe” Abholzen der Wälder ist dramatisch, weil viele Pflanzen- und Tierarten auf die späten Entwicklungsphasen eines Waldes angewiesen sind. Die Zusammensetzung dieser Wälder, deren Totholzstrukturen sowie die in diesen Phasen ablaufenden ökologischen Prozesse, sind die Lebensgrundlage etlicher Pflanzen-, Bakterien-, Pilz- und Tierarten. Totholz stellt eine Schlüsselstruktur und einen Indikator für weite Teile der Artenvielfalt im Wald dar. Etwa 30 % der Waldarten (Pflanzen, Tiere, Pilze und Bakterien) sind von Alt- und Totholz abhängig. In etwa 1.500 Pilzarten und 1.340 Käferarten sind auf Totholz angewiesen. Davon sind 10 % tatsächliche Urwaldreliktarten, also Arten, die auf urwaldtypische Strukturen angewiesen sind.

Zahlen & Fakten

  • Ca. 30 % aller Waldarten sind von Alt- und Totholz abhängig
  • Im Urwald dauert ein vollständiger Zyklus der Waldentwicklung bis zu 600 Jahre
  • Im Wirtschaftswald wird bereits nach 80-140 Jahren das Holz geerntet
Totholz Grafik

Was ist Totholz?

Als Totholz bezeichnet man sowohl einzelne tote Äste an einem alten Baum, wie auch abgestorbene, stehende oder umgefallene Bäume oder Teile davon. Dabei ist die Bezeichnung Totholz eigentlich irreführend. Totholz ist nämlich nicht nur ein wichtiger Bestandteil des Waldökosystems, sondern auch Nahrungsgrundlage und Lebensraum für viele Arten.

Totholz: Das Lebenselixier des Waldes

Totholz wird heute oft aus falsch verstandenem Ordnungssinn, der Irrmeinung, dass Totholz Schädlinge vermehrt und/oder weil es “unwirtschaftlich” ist, aus dem Wald entfernt. Dabei hat das Belassen im Bestand viele Vorteile: Totholz trägt entscheidend zur biologischen Vielfalt und Naturnähe unserer Wälder bei, da es im Lebenszyklus zahlreicher Organismen eine unabdingbare Rolle spielt. Etliche Waldarten hängen direkt oder indirekt davon ab und viele nutzen es als Lebensraum. In Bergwäldern unterstützt oder ermöglicht Totholz oft erst die Naturverjüngung, also das Nachwachsen junger Pfanzen. Es schützt vor Bodenauswaschung, Erosion, Lawinen sowie Steinschlag und fungiert als großer Wasserspeicher. Zusätzlich kann es Schutz vor Naturgefahren bieten: Durch die stabilisierende Wirkung von stehendem und liegendem Totholz, können bei Starkregen Bodenerosion und Lawinenanrisse verhindert werden. Quer zum Hang liegende Holzstämme können auch vor Steinschlag schützen.

Im Kohlenstoffkreislauf hat Totholz ebenso eine wichtige Bedeutung: Alte Wälder binden kontinuierlich CO2 und speichern den Kohlenstoff bis der Baum zersetzt wird und in Boden übergeht. Dabei werden beträchtliche Mengen an Kohlenstoff im Boden eingelagert. Für die Bodenbildung nimmt Totholz im Wald eine Schlüsselrolle ein: Zersetztes Holz liefert Nährstoffe und trägt damit maßgeblich zur Bodenfruchtbarkeit bei. Deshalb wirkt sich die Entnahme von lebendem und auch totem Holz auf die Biodiversität und den Nährstoffhaushalt der Wälder aus. Mithilfe von Pilzen, Bakterien, Insekten und auch Vögeln oder Säugetieren erfolgt der Abbau von Holz bis zum Humus. Alt- und Totholz können daher als der „Boden von morgen“ bezeichnet werden.

 

Optimale Verteilung von Totholz

Anstelle eines niedrigen, gleichzeitig jedoch flächendeckenden und gleichmäßigen Totholzvorrats, ist eine mosaikartige Verteilung (ähnlich den Rosinen im Kuchen) wesentlich vorteilhafter. Für Arten mit geringer Mobilität, wie z. B. für viele Totholzkäfer, ist es von hoher Bedeutung, dass die jeweiligen Totholzstrukturen nicht allzu weit voneinander entfernt liegen.

Schlüsselfaktoren

Neben den Totholzmengen sind folgende Faktoren entscheidend für den Erhalt der Biodiversität im Wald:

  • Qualität von Alt- und Totholz, Strukturvielfalt: Das Alter des Totholzes, Fäulnis und Zersetzungsgrade, Holzdimensionen und Sonderstrukturen wie Blitzrinnen, Specht- oder Mulmhöhlen spielen für viele Arten eine wichtige Rolle.
  • Zeitliche Komponente: Durch die Erhaltung von Totholz über lange Zeiträume hinweg, wird eine zeitliche Kontinuität der Strukturen und damit Lebensräume erhalten (Habitattradition).
  • Räumliche Verteilung: Durch die oft nur geringen Distanzen, die von waldgebundenen Arten überwunden werden können, dürfen die Entfernungen zwischen den Totholzstrukturen nicht zu groß sein bzw. müssen die Totholzbestände miteinander vernetzt sein.
Wald

Wie viel Totholz braucht der Wald und wie viel ist vorhanden?

Nach den Daten der Österreichischen Waldinventur 2016/2018 (ÖWI) liegt der derzeitige Totholzvorrat durchschnittlich bei 20,6 m³/ha, (plus Stocktotholz von 10,3 m³/ha) wobei 8,1 m³ stehendem und der Rest liegendem Totholz zugeteilt werden. Hervorzuheben sind dabei die großen Unterschiede in der Verteilung je Region, je Höhenstufe und je Waldgesellschaft. Die Bergwälder der Innenalpen, der Nördlichen Zwischenalpen und Nördlichen Randalpen sind mit hohen durchschnittlichen Totholzmengen um 40 m³/ha ausgestattet. Die Wälder im Mühl- und Waldviertel, im Sommerwarmen Osten und im Nördlichen Alpenvorland, weisen hingegen deutlich niedrigere Mengen von unter 20 m³/ha auf.

Ökologisch bedeutend ist auch die Durchmesserverteilung: Im Wald sollten viele verschiedene Holzdimensionen vorkommen. Besonders dickes Totholz fehlt in heimischen Wäldern allerdings häufig, daher sehen wir hier den größten Handlungsbedarf. Im österreichischen Ertragswald stehen derzeit durchschnittlich 1,4 Totholzstämme/ha mit einem BHD (Brusthöhendurchmesser) > 35 cm und 0,3 Totholzstämme/ha mit einem BHD > 50 cm.

WWF-Umsetzungskonzept zum Schutz und zur Förderung der Waldbiodiversität

Auf Basis vieler Studien schlägt der WWF Österreich die Einrichtung von Alt- und Totholzverbundsystemen vor: Ein funktionales Netz, also wirksam miteinander verknüpfte Altholzinseln, Biotopbäume und Prozessschutzflächen, soll etabliert werden. Eine mosaikartige Verteilung (ähnlich den Rosinen im Kuchen) ist hier am wirksamsten. Mehr dazu in „Alt- und Totholz in der Praxis – Erkenntnisse aus einem Projekt“ und im „Praxisleitfaden Mikrohabitate„.

 

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