Naturschutzorganisation fordert Eingreifen des Landeshauptmanns – Tiwag will trotz negativer Volksbefragung langfristig weiter Wasser aus dem Ötztal ableiten
Überzogene Wasserkraftpläne: Tiroler Naturjuwele in Gefahr
![Ötz Mittellauf 2 (c) WWF_Anton Vorauer.JPG](https://www.wwf.at/wp-content/uploads/2021/10/4ee736810f16e.jpg)
Innsbruck, am 14. Dezember 2011 – Mehr als 30 neue Wasserkraftwerke bedrohen teils noch unversehrte Flüsse und Bäche Tirols. Schwerpunkte der Ausbaupläne sind das hintere Ötztal, das Stubaital, der Inn sowie Osttirol. Den Kraftwerken geopfert werden sollen auch Flüsse, die noch unverbaut und ungestaut von der Quelle bis zur Mündung frei fließen, wie die Flussheiligtümer Venter Ache in Nord- und die Isel in Osttirol. Die größten heimischen Naturschutzorganisationen, darunter die Naturfreunde, der Naturschutzbund, das Forum Wissenschaft und Umwelt sowie der WWF präsentieren heute eine aktuelle Karte der bekannt gewordenen Ausbaupläne in Tirol und warnen angesichts deren Ausmaßes vor einer massiven Schädigung der Tiroler Natur. Sie fordern Landeshauptmann Günther Platter auf, noch heuer einen Kraftwerksgipfel einzuberufen, um wieder Ordnung in die aus den Fugen geratenen Kraftwerksvorhaben zu bringen.
„Uns wurde versprochen, dass der Tiroler Kriterienkatalog dem Wildwuchs an Kraftwerken einen Riegel vorschieben und klug gewählte Standorte begünstigen wird. Eingetreten ist das Gegenteil. Die meisten Projekte liegen an ökologisch wertvollen Gewässerstrecken“, ist Christoph Walder, Wasserkraftexperte des WWF, enttäuscht. Mehr als die Hälfte der Kraftwerksvorhaben – wie das Kaunertalprojekt – liegt in sensiblen Gebieten, beeinträchtigt Schutzgebiete – wie im Kühtai, oder verschlechtert sogar Gewässer in der Nationalparkregion. Dies trifft auf die Projekte Isel, Kalserbach und Froßnitzbach in den Hohen Tauern zu.
Ja zur ökologisch und sozial verträglichen Wasserkraftnutzung
Die Naturschutzorganisationen stehen der Wasserkraftnutzung prinzipiell positiv gegenüber, wenn sie ökologisch und sozial verträglich ist. Die heute vorgestellten Ausbaupläne – allen voran die Großprojekte der TIWAG wie der Ausbau des Kraftwerks Kaunertal – lassen jedoch Strategie und Augenmaß vermissen, bemängeln die Kritiker. So sind auch bei Matrei in Osttirol im Umkreis von nur 15 Kilometern drei riesige Kraftwerke geplant, die viel mehr Energie erzeugen würden, als die Region jemals benötigen wird, aber die Natur massiv schädigen. „Wenn diese Kraftwerke realisiert werden, müsste die Isel an mehreren Stellen zerstückelt, ausgeleitet und aufgestaut werden, was bei diesem natürlichen Gletscherfluss einer ökologischen Katastrophe gleich kommt“, ist Limnologie-Professor Dr. Roland Psenner, zugleich Vizepräsident des Forums Wissenschaft und Umwelt, entsetzt.
![Platzertal(c)Vorauer , © by Anton Vorauer WWF Platzertal(c)Vorauer , © by Anton Vorauer WWF](/wp-content/uploads/2021/10/4ee70d26924f0_o.jpg)
Nein zur Zerstörung der Venter und Gurgler Ache
Besonders besorgt sind die Umweltschützer über die Ausbaupläne am Kraftwerk Kaunertal im Tiroler Oberland. Geht es nach den Plänen der TIWAG, würden dafür die Venter und Gurgler Ache, sowie zwei weitere Bäche im hinteren Ötztal über zwei 25 Kilometer lange, mehrere Meter hohe Stollen ins Kaunertal umgeleitet werden. „Das ist ein unbotmäßiger Eingriff in einer hochalpinen Region, die sich durch großflächig erhaltene Wildnisgebiete und eine ganz besonders schützenswerte Fauna und Flora auszeichnet“, unterstreicht Prof. Dr. Roman Türk, Präsident des Naturschutzbundes Österreich.
Die Region des hinteren Ötztales steht unter nationalem und internationalem Naturschutz und muss für die Nachwelt erhalten bleiben, sind sich die Naturschutzorganisationen einig. Zudem hat sich die Republik Österreich in einem Übereinkommen mit dem WWF verpflichtet, Flussheiligtümer wie die Venter Ache vor jeder Verschlechterung zu schützen. „Wenn der Landeshauptmann und der Umweltminister das Kraftwerk Kaunertal beschließen, ist das ein Schlag ins Gesicht der Österreichischen Umweltbewegung“, sagt Walder vom WWF.
Als Limnologin ist Ao. Prof. Birgit Sattler, stv. Vorsitzende der Tiroler Naturfreunde überzeugt, dass gerade die intakten Gewässerabschnitte dieser einzigartigen Fließgewässer eine besondere Funktion im Naturhaushalt Tirols spielen, Lebensräume einer typischen und vielfach verschwundenen Fauna und Flora darstellen und nach einer energiewirtschaftlichen Nutzung viele dieser Qualitäten einbüßen werden.
Tirol zerstört sich mit den Kraftwerksprojekten nicht nur seine letzten Flussjuwele, sondern beraubt sich auch des eigenen Potenzials für Naturtourismus, fürchten die Naturfreunde. Viele betroffene Regionen werben seit Jahrzehnten mit ihrer Natürlichkeit. „Unsere Tiroler Wildflüsse ziehen Wassersportler aus ganz Europa an, weil wir mit unseren Klammen, Schluchten und Wildwasserstrecken noch begehrte Erlebnisstrecken zur Verfügung haben. Diese Paradiese sollen auch in Zukunft bewahrt bleiben“, unterstreicht Sattler.
![APA Grafik_Neue Wasserkraftprojekte in Tirol (c) WWF.jpg, © by WWF APA Grafik_Neue Wasserkraftprojekte in Tirol (c) WWF.jpg, © by WWF](/wp-content/uploads/2021/10/4ee72fc384d83_o.jpg)
Kurskorrektur in der Wasserkraft statt Flüssekollaps
Landeshauptmann Günther Platter soll die überbordenden Ausbaupläne zur Chefsache machen und wieder in geordnete Bahnen lenken, fordern die Naturschutzorganisationen. Der Kriterienkatalog dürfe seine Wirkung nicht verfehlen. „Andernfalls gibt es gleich drei Verlierer: Die Tiroler Flüsse gehen ebenso kaputt, wie das Vertrauen in eine berechenbare Politik, und letztlich auch die Planungssicherheit für Kraftwerksbetreiber“, erklärt Walder vom WWF. Denn der derzeitige „Wildwuchs“ an Wasserkraftprojekten führe auch zu unnötigen Grabenkämpfen zwischen Naturschutz und Energiewirtschaft. „Gegen die meisten Vorhaben sind massive Widerstände vorprogrammiert“, warnen die Umweltverbände. Dadurch würden letztlich auch ökologisch verträgliche und energiewirtschaftlich sinnvolle Projekte gelähmt.
Aus Sicht der Naturschutzorganisationen kann nur ein breit angelegter Kraftwerksgipfel, der die Interessen von Ökologie, Energiewirtschaft und Landespolitik bestmöglich unter einen Hut bringt, eine Trendwende einleiten.
Rückfragehinweis:
Claudia Mohl, WWF-Pressesprecherin, Tel. 01/488 17-250
E-mail: claudia.mohl@wwf.at
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