Naturschutzorganisation fordert ambitioniertes Handeln statt Retro-Kurs: Bodenversiegelung eindämmen, Naturerbe schützen, Klimaschutz-Chancen nutzen
Offener Brief der Aktionsgruppe Lebendiger Kamp an Landesrat Stephan Pernkopf
Wien, St. Pölten, 11. März 2016
Sehr geehrter Herr Landesrat!
Die aktuellen Entwicklungen beim Wasserkraftausbau in Niederösterreich und insbesondere im Kamptal erfüllen die unterzeichnenden Naturschutzorganisationen mit großer Sorge.
Wir begrüßen die Initiativen des Landes Niederösterreich, den Anteil der Erneuerbaren zu steigern, Verbrauchsziele zu definieren und die Energieeffizienz voranzutreiben. Eine undifferenzierte Befürwortung der Wasserkraft ist jedoch sehr bedenklich. So steht beim Kraftwerk Rosenburg am Kamp der geringe energetische Zugewinn von 1,8 GWh/a in keinem Verhältnis zum Verlust an Flussnatur, der mit dem Neubau einhergeht. Zu den Schäden an den bedrohten Arten und Lebensräumen des Europaschutzgebiets gesellen sich potentielle negative Auswirkungen auf das soziale Klima und auf die Reputation von Betreiber und Politik: Das Kamptal war noch vor dem historischen Konflikt in den Hainburger Donau-Auen Schauplatz der ersten harten Auseinandersetzung zwischen Kraftwerksbetreibern und dem Naturschutz.
Im Sinne einer vorausschauenden Planung und zur Konfliktvermeidung wäre die Energiewirtschaft deshalb gut beraten, die Sensibilität von Standorten zu bedenken und gemeinsam mit Umweltverbänden in einem ehrlichen und transparenten Prozess nach Lösungen zu suchen. Beim geplanten Neubau des Kraftwerks Rosenburg ist die Einbindung der NGOs misslungen: Mit den NGOs getroffene Abmachungen hinsichtlich der Variantenprüfung wurden nicht eingehalten, ihre Bedenken nicht berücksichtigt. Im Gegenteil: Die im Dezember 2015 präsentierten EVN-Pläne zielen sogar auf wesentlich massivere Eingriffe in die Naturgüter ab, als dies zu Beginn des so genannten „Beteiligungsprozesses“ im Juni 2015 kommuniziert wurde. Die fundierten inhaltlichen Stellungnahmen der Naturschutzorganisationen wurden nicht eingearbeitet, sondern lediglich als „Anhang“ erwähnt. Eine solche Vorgehensweise ist nicht geeignet, konstruktive zivilgesellschaftliche Mitwirkung zu stärken, zerstört Vertrauen und schürt den Konflikt.
Die Umweltorganisationen Naturschutzbund NÖ, Riverwatch, der WWF Österreich sowie zahlreiche engagierte Privatpersonen und Künstler der Region befürchten, dass die aus unserer Sicht inakzeptable Vorgangsweise rund um die geplante Neu-Errichtung des Kraftwerks Rosenburg ein Präzedenzfall für ähnlich gelagerte Projekte werden könnte.
Wir sind zudem der Überzeugung, dass auch die Einhaltung der EU-Richtlinien (Natura 2000, Wasserrahmenrichtlinie) hier nicht gegeben ist: Im ökologisch herausragenden Kamptal ist besonderes Augenmerk auf das Unterbinden von Verschlechterungen für Schutzgüter und Gewässer-Qualitätskriterien zu legen. Ein „überwiegendes öffentliches Interesse“ an einem Neubau des KW Rosenburg ist angesichts der energetischen Bedeutungslosigkeit des Vorhabens schwer argumentierbar.
Die letzten großen naturnahen Flusstäler des mittleren Kamps, der Ybbs und der Erlauf haben nicht nur eine außergewöhnliche ökologische Bedeutung, sondern sollten auch als Reliktstandorte anderswo längst verschwundener Flussnatur für nachfolgende Generationen erhalten bleiben.
Sehr geehrter Herr Landesrat, Sie haben auf unsere Initiative vom Dezember 2015 für einen Niederösterreichischen Flüssegipfel bis heute nicht reagiert. Wir sind weiterhin zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit und möchten unser Dialogangebot mit Nachdruck erneuern. Um eine Lösung zu finden, die sowohl dem Naturschutz als auch dem Klimaschutz zuträglich ist, bedarf es einer ausgewogenen Entscheidung des Mehrheits-Eigentümers und der Politik.
Wir ersuchen Sie eindringlich, unser Dialogangebot anzunehmen und zügig den „Flüsse-Gipfel“ über die Zukunft des Kamptales anzuberaumen. Wir sind überzeugt, dass es möglich ist, einen Konflikt wie in den 80iger-Jahren zu vermeiden und gemeinsam Lösungen zu finden.
Mit freundlichen Grüßen,
für die Initiative Lebendiger Kamp
Andrea Johanides, Geschäftsführerin WWF Österreich
DI Ulrich Eichelmann, Geschäftsführer von Riverwatch
Univ.-Prof. Dr. Walter Hödl, Präsident des NÖ Naturschutzbundes
Rückfragen und Kontakt:
Claudia Mohl, WWF-Pressesprecherin, Tel. 01/48817-250, E-Mail: claudia.mohl@wwf.at
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