Naturzerstörung, Wilderei und Klimakrise gefährden zahlreiche Tierarten – WWF zieht Bilanz und fordert Naturschutz-Offensive von der Politik – Artenschutz-Projekte geben Hoffnung
Allianz für die Seele der Alpen startet Petition
- Lediglich 7 Prozent Österreichs sind noch weitgehend frei von technischer Infrastruktur, Verkehr und Lärm und dadurch besonders schützenswert
- Österreich verletzt Alpenkonvention, Umweltministerin Köstinger muss Vorsitzrolle endlich ernst nehmen
Innsbruck, 5. Juni 2018. Der Erschließungs- und Nutzungsdruck auf die alpine Landschaft ist größer denn je. Flächenverbrauch und Bodenversiegelungen schreiten ungebremst voran, in den Jahren 2015 bis 2017 wurden in Österreich täglich 12,9 Hektar Boden verbaut. Gerade einmal sieben Prozent der österreichischen Staatsfläche sind heute noch nicht bzw. nur gering erschlossen. Der Großteil dieser alpinen Freiräume liegt im Hochgebirge und ist nicht ausreichend vor großtechnischer Verbauung geschützt. Mit der "Allianz für die Seele der Alpen" rücken der Österreichische Alpenverein, die Naturfreunde Österreich und der WWF Österreich die Bedeutung der letzten alpinen Freiräume als seltene und wertvolle Ressource in den Vordergrund.
Petition bindet nun die Bevölkerung ein
Eine Petition soll nun ein deutliches Zeichen setzen: Die von den drei Organisationen gebildete Allianz fordert gemeinsam von den politisch Verantwortlichen verbindliche Grenzen für die technische Erschließung unserer alpinen Freiräume – bevor die Seele dieser einzigartigen alpinen Landschaft endgültig verkauft wird.
"Seit dem Start unserer Allianz kamen von der zuständigen Ministerin keine positiven Signale für einen echten Umwelt-und Naturschutz. Nun bieten wir mit der Petition (https://www.seele-der-alpen.at) einer breiten Bevölkerung die Möglichkeit, ein starkes Signal an die Politik zu senden", so Hanna Simons, Leiterin der Natur- und Umweltschutzabteilung beim WWF Österreich.
Regierung forciert Verbauung ohne Rücksicht auf Verluste
An sich hätte die Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm einen verantwortungsvollen Umgang mit unserer Umwelt festgeschrieben. "Um Flächenverbrauch und Bodenversiegelung tatsächlich zu verringern, braucht es eine vorausschauende Raumentwicklungsstrategie, in der Freiraumschutz und Freiraumentwicklung einen besonders hohen Stellenwert haben", so Robert Renzler, Generalsekretär des Österreichischen Alpenvereins.
Tatsächlich laufen die Maßnahmen der Regierung aber darauf hinaus, die Verbauung Österreichs sogar noch zu erleichtern, Umweltstandards zu senken und Beteiligungsrechte auszuhebeln. Umstrittene Großprojekte werden ohne Rücksicht auf Verluste forciert. Das "Staatsziel wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort", der geplante "Standortanwalt", der in UVP-Verfahren Umweltanliegen klein reden soll, sowie ein "Standortentwicklungsgesetz", das ein öffentliches Interesse an Projekten vortäuschen soll, würden auch die letzten Hürden beseitigen.
"So rücken Skigebietserschließer und Kraftwerksbauer immer näher an unsere letzten Kleinode heran. Erwartungsvoll werden die Messer gewetzt, um den bisher unberührten Gebieten – in Tirol etwa durch die Skigebietsverbindungen Ötztal-Pitztal, Kappl-St. Anton oder Kaunertal-Langtaufers – die Seele zu rauben. Wir Naturschützer kämpfen immer öfter gegen mächtige Gegner, die für kurzfristige wirtschaftliche Erfolge Eingriffe veranlassen, die nicht wiedergutzumachen sind. Es fehlt die Verbindlichkeit, Erschließungsprojekte zu stoppen, bevor es für die unberührten Naturräume endgültig zu spät ist", mahnt Robert Renzler.
Österreich kommt internationalen Verpflichtungen nicht nach
Österreich hat sich im Rahmen der Alpenkonvention zur Erhaltung und zum Schutz der Alpen verpflichtet – unter umsichtiger und nachhaltiger Nutzung der Ressourcen. Im Umgang mit der alpinen Natur und Landschaft bedeutet diese Verpflichtung, die Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Natur und Landschaft in ihrer Gesamtheit dauerhaft zu sichern. Bislang ist Österreich den Verpflichtungen der Alpenkonvention nur unzureichend nachgekommen.
Tatsächlich werden etwa unter dem Vorwand der Energiewende die letzten intakten Fließgewässer und unversehrte Naturräume durch neue Wasserkraftwerke, Windkraftanlagen sowie Leitungen für den Energietransport zerschnitten und ökologisch auf Dauer degradiert. "Dabei wäre der notwendige Umstieg auf erneuerbare Energien bei guter Planung auch naturverträglich möglich – wenn zugleich die Energieverschwendung bekämpft wird", erklärt Hanna Simons vom WWF. Der Status Quo verdeutlicht den Handlungsbedarf: Schon jetzt werden die heimischen Flüsse und Bäche im Schnitt alle 600 Meter von einer Barriere wie einer Staumauer, einer Wehranlage oder Sohlschwelle unterbrochen. Heute bestehen in Österreich bereits mehr als 5.200 Wasserkraftwerke. Mehr als 200 weitere Kraftwerke sind derzeit in Planung.
Lebens- und Erholungsraum Alpen bedroht – Ruhezonen gefordert
"Alpine Freiräume sind nicht nur für den Arten- und Naturschutz wichtig, sie stellen auch einzigartige Erholungsräume für uns Menschen dar. Wir Menschen brauchen eine intakte Natur für unsere körperliche, geistige und seelische Gesundheit. Deshalb ist es unsere gemeinsame Verantwortung, die Freiräume auch für zukünftige Generationen zu erhalten", betont Regina Hrbek, Leiterin der Abteilung für Natur- und Umweltschutz bei den Naturfreunden Österreich.
Um touristische und freizeitbezogene Aktivitäten mit ökologischen und sozialen Erfordernissen in Einklang zu bringen, sieht die Alpenkonvention auch die Festlegung von Ruhezonen vor. "Österreich hat sich dazu verpflichtet, Ruhezonen auszuweisen, in denen auf weitere touristische Erschließungen verzichtet wird. Solche Ruhezonen, Schutzgebiete und unversehrte naturnahe Gebiete und Landschaften sind auch vor Infrastrukturen für Energieproduktion und -transport zu bewahren", so Regina Hrbek.
Entsprechende Ruhezonen (unter der Bezeichnung Ruhegebiete) bestehen bislang nur im Bundesland Tirol, wo sie im Tiroler Naturschutzgesetz rechtlich verankert sind. "Allerdings wurde die Schutzgebietskategorie Ruhegebiet im Jahr 2014 mit Blick auf die Unvereinbarkeit mit der Errichtung des Speicherkraftwerks Kühtai in einer Anlassgesetzgebung derart verändert, dass für Projekte ’der Energiewende’ Ausnahmen von wesentlichen Verbotstatbeständen – etwa Hubschrauberflüge und erhebliche Lärmentwicklung – zulässig sind", ergänzt Hanna Simons. "Nur damit konnte ein gegen das Tiroler Naturschutzgesetz verstoßendes Speicherkraftwerk Kühtai überhaupt genehmigt werden." In den anderen Bundesländern wurden bis heute keine Ruhezonen ausgewiesen, die der Alpenkonvention entsprechen.
Allianz für die Seele der Alpen: Umweltministerin Köstinger muss handeln!
Die Allianz für die Seele der Alpen richtet sich mit ihren Forderungen in erster Linie an Umweltministerin Köstinger: Die drei Umweltorganisationen fordern, dass sich die Ministerin auf allen Ebenen dafür einsetzt, dass Österreich seine Hausaufgaben erledigt und sich stärker für die Umsetzung der Alpenkonvention einsetzt. Gerade als Nachhaltigkeitsministerin muss sie ihre koordinierende Rolle stärker wahrnehmen und öffentlich Druck ausüben, sodass Bund und Länder ihren internationalen Verpflichtungen endlich nachkommen.
Alpiner Freiraumschutz ist zweifelsfrei ein drängendes Zukunftsthema für den gesamten Alpenraum. Ein rechtsverbindlicher und effektiver Schutz unversehrter alpiner Freiräume bedarf einer grenzüberschreitenden Koordinierung, sowohl zwischen österreichischen Bundesländern als auch zwischen den Alpenstaaten. Noch im Rahmen des österreichischen Alpenkonventions-Vorsitzes bis April 2019 müssen daher die notwendigen Weichen gestellt werden, um den alpinen Freiraumschutz länderübergreifend besser zu koordinieren und die dafür notwendigen Grundlagen und Prozesse sicher zu stellen: Damit die Natur mehr Luft zum Atmen hat und sich auch die künftigen Generationen an der Schönheit der Alpen erfreuen können. "Die Seele der Alpen darf nicht verkauft werden", so die drei Umweltorganisationen unisono.
Petition: www.seele-der-alpen.at
Rückfragen & Kontakt:
Gerhard Auer, WWF-Pressesprecher, 01 488 17 231, gerhard.auer@wwf.at
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