© Myke Sena/WWF Brasilien
Cerrado: Wertschöpfungsketten im Reality-Check
Wie die größte Savanne der Welt unserem Fleischkonsum zum Opfer fällt
Der brasilianische Cerrado ist eine Ökoregion der Superlative und sowohl für den Klimaschutz als auch für den Erhalt der Biodiversität von zentraler Bedeutung. Die tropische Savanne liegt in Zentralbrasilien, grenzt im Norden an den Amazonas-Regenwald und im Süden an den atlantischen Küstenregenwald. Acht der zwölf wichtigsten Wasserquellen Brasiliens entspringen dort. Die Region versorgt den Amazonas mit Wasser und liefert rund 50 % des brasilianischen Süßwassers. All dem zu Trotz ist die Region kaum jemandem ein Begriff. Das muss sich ändern.
Durch Gesetzeslücken und die maßlose Sojaproduktion gerät die Zerstörung des Cerrado außer Kontrolle
Anders als im benachbarten Amazonas, wird der Cerrado auch der „auf dem Kopf stehende Wald“ genannt. Die Biomasse befindet sich zu 2/3 unter der Erde, im Vergleich zum Amazonas, wo 2/3 der Biomasse überirdisch und im üppigen grün sichtbar sind. Der Kohlenstoff ist daher überwiegend im Boden gespeichert, die Wurzelsysteme gehen bis zu 30 Meter tief in den Boden. Die karge Savanne mit ihren niedrigen Bäumen, Büschen und Graslandschaften steht dem Amazonas vielleicht optisch etwas nach. In Sachen Klimaschutz ist sie aber genauso wichtig, da äquivalent viel Kohlenstoff gespeichert wird. Auf einer Größe von 2 Mio. Quadratkilometer, also ungefähr die Größe Westeuropas, befinden sich 5 % der weltweiten Biodiversität, darunter zehntausende Pflanzen-, Vogel- und Säugetierarten sowie 480 einheimische Wirbeltierarten.
Trotz seiner wichtigen Rolle für die regionale Wasserversorgung sowie Klima- und Biodiversitätsschutz, besteht der Cerrado mittlerweile aus unzähligen Weide- und Ackerflächen. Bereits 50 % der Fläche der natürlichen Vegetation wurden zerstört. Eine der Hauptkulturen ist Soja, welches auch nach Europa exportiert wird.
Rund 16 % des Sojas, welches wir in Europa importieren, kommt aus dem Cerrado. Tendenz steigend.
Aktuell verlagern sich auch immer mehr Abholzungen kontinuierlich vom Amazonas in den Cerrado der kaum eines Schutzes unterliegt. Auch das EU-Waldschutzgesetz (EU Deforestation Regulation) schützt den Cerrado nicht ausreichend, denn nur die 26 % die als Waldfläche per Definition gelten fallen in die Verordnung. EU-Konsument:innen, die bald entwaldungsfreie Produkte und Lieferketten bei bestimmten Produkten (u.a. Soja, Palmöl, Rindfleisch, Kaffee) erwerben können, kaufen und finanzieren somit weiterhin zerstörte Savannen trotz ihrer massiven Bedeutung für Klima- und Biodiversitätsschutz.
Wie der Konsum hat auch die Veranlagung von Geld massive Auswirkungen auf Ökosysteme– und auch hier sind die Konsequenzen und Zusammenhänge häufig nicht auf den ersten Blick deutlich erkennbar.
So ist beispielsweise der Handel mit Soja mehrheitlich von wenigen Groß-Händlern, wie ADM, Bunge oder Cargill (die sogenannten ABC) organisiert. Die industrielle Landwirtschaft hat im Cerrado überhandgenommen. Einzelne Betriebe mit bis zu 20.000 ha Flächen sind keine Ausnahme, ein kreisrund bewässertes Feld hat meist 100 ha. Diese Flächen brauchen viel Wasser, welches tief aus dem Boden gepumpt wird. Die regionale Bevölkerung kämpft mit immer weniger Wasser und muss mit den eingeschränkten Wasserressourcen haushalten.
Da die enormen Monokulturen wenig widerstandsfähig sind, benötigen sie Pestizide. Ob der Größe der Felder werden diese großflächig mit dem Flugzeug ausgebracht ohne Rücksicht auf Wasserläufe oder Menschen in naher Umgebung. Die Folgen sind verunreinigte Fließgewässer, die in den Dörfern ankommen. Auch Krebserkrankungen sind in der Region überdurchschnittlich häufig, Atemwegs- und Hauterkrankungen sind keine Seltenheit.
Im Cerrado leben 25 Millionen Menschen, rund 80 indigene Völker. Über Generationen hinweg wurde auf dem Gebiet gewohnt und Landwirtschaft betrieben. Es findet sich kleinstrukturierte Landwirtschaft mit überlieferten traditionellen Methoden, um die einheimischen „Cerrado-Fruits“ nachhaltig zu nutzen und den Lebensunterhalt zu verdienen.
Die absolute Dringlichkeit zu handeln wird besonders deutlich, wenn man die Geschichten der Einheimischen hört. Wie die von Fátima Cabral. Sie bewirtschaftete eine kleine Fläche von 40 Hektar auf der sie auch mit ihrer Familie gelebt hatte. Eines Tages brannte ihr gesamtes Hab und Gut inkl. bewirtschaftete Felder ab. Nur wenige Tage darauf kam das erste Kaufangebot eines großen Unternehmens. Diese Geschichte ist leider kein Einzelfall. Die Methoden, um an Land zu kommen, sind dreist. Die lokale Bevölkerung steht wie die Natur unter enormen Druck.
Der WWF unterstützt die indigene Bevölkerung auf unterschiedliche Art und Weise. Neben Rechtsbeistand bei Klagen werden gemeinsam Kooperativen gegründet, Landwirte zusammengebracht und in gemeinschaftlicher Manier biologisch gewirtschaftet. Junge Landwirte werden zu „Samenhelden“ ausgebildet, sie lernen die Samen des Cerrado zum richtigen Zeitpunkt zu ernten, sie aufzubereiten um dann damit aufzuforsten oder sie weiter zu verkaufen um damit ein Einkommen zu generieren.
Wirksames Biodiversitätsmanagement erfolgt entlang der gesamten Wertschöpfungskette
Österreich verfügt über ein starkes Netzwerk an exportorientierten Unternehmen. Dennoch werden mehr als 40 Prozent der gebrauchten Güter aus dem Ausland importiert. Die Rohstoffentnahme und damit auch eine wesentliche Belastung der Biodiversität findet in diesem Fall außerhalb Österreichs statt. Damit haben österreichische Unternehmen durch ihre globalen Lieferketten eine enorme Verantwortung für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Der WWF Biodiversity Stewardship Ansatz bietet österreichischen Unternehmen eine strategische Handlungsanleitung, um Schritt für Schritt Biodiversitätsschutz wirksam in ihr Kerngeschäft zu integrieren.
in aller Kürze
Die Wirtschaft Österreichs bezieht über 40 % ihrer benötigten Güter aus dem Ausland.
- Rohstoffentnahmen und damit auch erhebliche Auswirkungen auf die Biodiversität finden oftmals außerhalb Österreichs statt.
- Eine umfassende Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette im Rahmen des Biodiversitätsmanagements ist unerlässlich.
- Der WWF Biodiversity Stewardship Ansatz bietet konkrete Lösungsansätze, um wirksame, transformative Maßnahmen zu ergreifen.
Weitere Informationen finden Sie in der WWF Studie „Wirtschaften in der Biodiversitätskrise“
Die geringe Transparenz der Wertschöpfungskette und auch die beschränkten Einflussmöglichkeiten auf die vor- und nachgelagerten Unternehmensprozesse stellen Unternehmen vor große Herausforderungen im Rahmen des Biodiversitätsmanagements.
Der WWF Österreich hat im Rahmen einer Studie konkrete Lösungsansätze erarbeitet, welche Unternehmen dabei unterstützten, Hürden zu überwinden und transformative Maßnahmen zu ergreifen. Dadurch können nicht nur unternehmerische Risiken gemindert werden, sondern auch Chancen genutzt werden.
Unsere Forderungen
Den Cerrado zu schützen bedeutet die Menschen vor Ort zu schützen und damit auch ein weltweites wichtiges Ökosystem zu erhalten bzw. wieder zu renaturieren, welches wir alle für eine lebenswerte Zukunft benötigen. Dafür muss neben der Wirtschaft auch die Politik jetzt handeln:
- Die europäische Politik muss das EU-Waldschutzgesetz auf alle wichtigen Ökosysteme ausweiten.
- Das in der EU aktuell verhandelte EU-Lieferkettengesetze muss wirksam gestaltet werden. D.h. Unternehmen müssen verpflichtet werden, die Einhaltung von Klima- und Umweltschutz und den Schutz der lokalen Bevölkerung entlang ihrer Lieferketten zu garantieren. Jegliche Landnutzungsänderungen (in sensiblen Ökosystemen) müssen dafür insbesondere genau überwacht und Verstöße sofort unterbunden werden. Dafür müssen Möglichkeiten für die Betroffenen geschaffen werden, um zu klagen.
- Unternehmen müssen Klima- und Biodiversitätsschutz umfassend in ihr Kerngeschäft integrieren. Der WWF Biodiversity Stewardship Ansatz bietet österreichischen Unternehmen eine strategische Handlungsanleitung, um Schritt für Schritt Biodiversitätsschutz wirksam in ihr Kerngeschäft zu integrieren.
- Investor:innen müssen darlegen, ob Finanzprodukte in illegale Rodungen oder anderweitige Naturzerstörung verwickelt sind und gegebenenfalls ihren Einfluss bei den Unternehmen geltend machen um diese Aktivitäten zu verhindern.
- Konsumierende können die notwendigen Maßnahmen von Politik und Wirtschaft vorantreiben, indem die eigene Ernährung hauptsächlich auf Pflanzen basiert.