© Christoph Praxmarer
Kraftwerk Kaunertal: Wieso der massive Ausbau eine Gefahr für die Bevölkerung ist
Durch die Klimakrise steigt im Alpenraum das Risiko auf Naturgefahren. Das betrifft auch das Kaunertal, in dem der Gepatschspeicher liegt – ein großer Stausee für die Wasserkraft. Aus ihm wird das Kraftwerk Kaunertal gespeist. Doch die Berghänge rund um den Speicher sind instabil. Schon jetzt sind an den Hängen 290 Millionen Kubikmeter Gestein in Bewegung – das wäre genug, um ganz Innsbruck unter rund drei Metern Schutt und Geröll zu begraben.
Hauptverantwortlich für diese Hangrutschungen ist der Betrieb des bestehenden Kraftwerks. Es klingt deshalb wie ein schlechter Scherz, dass es nun sogar weiter massiv ausgebaut werden soll. Das Risiko für Rutschungen, Fels- und Bergstürze würde sich dadurch noch weiter erhöhen. Somit wäre der Ausbau des Kraftwerks im Kaunertal – neben der massiven Zerstörung von bisher nahezu unberührter alpiner Landschaften und Flüssen – auch eine große Gefahr für die lokale Bevölkerung.
Gutachten zeigt Gefährdungspotenziale für bestehende Anlage
Ein Gutachten wurde 2025 im Auftrag des WWF von dem Geomorphologen und emeritierten Professor an der Universität Zürich, Dr. Wilfried Haeberli, erstellt. Es weist darauf hin, dass aufgrund der schnellen und irreversiblen Veränderungen im Hochgebirge bei der Planung neuer Infrastrukturprojekte potenzielle Naturgefahren und damit einhergehende Sicherheitsrisiken jenseits historischer Erfahrungen umfassend geprüft und neu bewertet werden müssen.
Und nicht nur das: Die Klimakrise hat bereits jetzt Auswirkungen auf die bestehende Anlage im Kaunertal. Der Ausbau würde das Risiko von Naturgefahren nur noch weiter erhöhen. Dabei bergen insbesondere auftauender Permafrost und die Folgen des Gletscherschwundes im Zusammenspiel mit Megaprojekten generell ein immer größer werdendes Gefahrenpotenzial für die Bevölkerung. Die Gletscher werden bereits bis zur Jahrhundertmitte im Gebiet des Gepatschferners nur noch etwa halb so groß sein wie heute. Die Folge: Aus dem Gletscherwasser bilden sich neue Seen im Hochgebirge – und mit großer Wahrscheinlichkeit werden zwei verhältnismäßig große Gletscherseen im oberen Teil des Gepatschferners entstehen.

Durch das Auftauen der Permafrostböden werden die Berge zunehmend instabil. Das Risiko großer Felsstürze hat sich dadurch in den letzten Jahren verfünffacht. In Kombination mit neu entstehenden Seen könnten herabstürzende Gesteinsmassen sogar Flutwellen auslösen. Die gefährliche Konstellation zeigt, dass die klimagesteuerte Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten im Einzugsgebiet der bestehenden und geplanten Speicher des Kaunertals und Platzertals sorgfältig analysiert werden muss.
Vor allem die Bewohner:innen im Kaunertal sind daher besorgt. „Wenn beim Bau des Speicherkraftwerks oder beim täglichen Pumpen zwischen den Speicherseen etwas schiefgeht, dann sind es unsere Existenzen, die auf dem Spiel stehen”, sagt Anita Hofmann, Obfrau des Vereins „lebenswertes kaunertal”. „Es ist völlig inakzeptabel, die Bevölkerung einem so großen Risiko auszusetzen und uns nicht einmal zu informieren.”

Mahnendes Beispiel: Katastrophe von Longarone
Die Katastrophe von Longarone 1963 ist ein mahnendes Beispiel dafür, dass das Risiko nicht auf die leichte Schulter genommen werden darf. Das Aufstauen des Stausees Vajont führte zu einem verhängnisvollen Bergrutsch. Mehr als 2000 Menschen kamen in einer Flutwelle um. Nach der Katastrophe wurde auch die Sicherheit der Anlage im Kaunertal intensiv diskutiert. Es wurde ein umfangreiches Monitoring und ein Frühwarnsystem aufgebaut.
Doch das Kaunertal ist geologisch gesehen vorgeschwächt: Die Gesteine sind instabil und anfällig gegenüber zusätzlichen Störungen. Es zeigt sich, dass trotz umfassender Sicherungsmaßnahmen keine Entschärfung der Situation herbeigeführt werden konnte. Selbst Hang– und Felssicherungen, die 20 und mehr Meter tief im Untergrund verankert sind, werden von den Rutschungen mitgerissen.
Was den Ausbau so gefährlich macht
Aber was genau sorgt dafür, dass sich das Risiko mit einem Ausbau des bestehenden Kraftwerks weiter erhöhen würde? Das Kraftwerk Kaunertal soll massiv ausgebaut werden und es soll unter anderem ein zusätzliches Pumpspeicherkraftwerk errichtet werden. Das bedeutet, dass das Wasser von einem unteren Speicher in einen oberen Speicher gepumpt und bei hohen Strompreisen als Antrieb für Turbinen genutzt wird. Dadurch gelangt das Wasser dann wieder in den unteren Speicher. Für diesen Vorgang bräuchte es einen neuen Stausee, der mit viel Aufwand errichtet werden müsste.
In der Vergangenheit haben bereits geologische Gutachten die Situation im Kaunertal genauer unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Ein zusätzlicher Pumpbetrieb würde die Gefahren von Rutschungen, Fels- und Bergstürzen noch weiter erhöhen. Die Hänge über dem Speicher sind seit Jahrzehnten in Bewegung. Der Hauptgrund dafür sind die jährlichen Wasserspiegelschwankungen durch den Kraftwerksbetrieb. Der Ausbau würde dafür sorgen, dass der Wasserspiegel des Stausees noch stärker und vor allem häufiger schwanken würde.
Dabei werden allein schon Temperaturanstiege durch die Klimakrise, die schmelzenden Gletscher, das Auftauen des Permafrostes und Extremwetterereignisse eine massive Herausforderung für die Sicherheit des Gepatschstausees. Bereits im Winter 2018/2019 führten starke Niederschläge zu den umfangreichsten Bewegungen im Westhang seit den 1960er-Jahren. Aus Sicherheitsgründen musste der Kraftwerksbetrieb eingeschränkt werden. Auf der Westseite häufen sich seit 2015 Felsstürze und Rutschungen. 2019 wurde sogar ein abgesicherter Bereich samt Sicherungsnetz mitgerissen.

Wir fordern: Stoppt das Projekt!
Wegen der beunruhigenden Häufung von Hangrutschungen und Felsstürzen hat der WWF zuletzt vor zwei Jahren eine unabhängige Überprüfung der Sicherheitslage gefordert. Seither wurde davon nichts umgesetzt. Stattdessen steht das Ausbauprojekt vor der Umweltverträglichkeitsprüfung. Bevor man über einen Ausbau nachdenkt, sollte zuerst das Sicherheitsrisiko für die bestehende Anlage geklärt werden. Es ist deshalb dringend notwendig, dass die Tiroler Landesregierung das Projekt stoppt. Es braucht eine unabhängige Kommission, die mit der umfassenden Untersuchung der steigenden Naturgefahren im Kaunertal beauftragt wird. Denn die Risiken sind derzeit unkalkulierbar.
Zahlen & Fakten
- Das bestehende Kraftwerk Kaunertal soll massiv ausgebaut werden.
- Unter anderem soll ein zusätzliches Pumpspeicherkraftwerk errichtet werden.
- Vom Ausbau wären drei Täler betroffen: Das Kaunertal, das Ötztal und das Platzertal.
- Aus dem Ötztal sollen bis zu 80% des Flusswassers abgeleitet werden.
- Im Platzertal ist ein neuer Staudamm geplant, der 120 Meter hoch und 660 Meter breit werden soll.
- Wertvolle Moore würden dadurch im Wasser versinken, 6 Schutzgebiete wären betroffen.
- Geschützte Tierarten wie Bartgeier, Alpenschneehuhn oder Innäsche würden an Lebensraum verlieren.
WWF Info-Material
Stoppen Sie mit uns das Monster-Kraftwerk!
Unsere Petition gegen den Kraftwerksausbau im Kaunertal,
und für den Schutz österreichischer Flussheiligtümer.