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Tatort Kaunertal #1: Der Erdgaskonzern TIWAG

Stellen Sie sich vor, Sie stehen im Jänner 2023 in Innsbruck und ein Bus fährt an ihnen vorbei. Sie sehen eine große Werbefläche. Geworben wird für Erdgas. Erdgaswerbung in Tirol 2023? Ein Land voller Wasserkraftwerke, mit ganz viel Potential für Photovoltaik und auch einiges an Windenergie. Trotzdem wird für Gas geworben, viele Monate nach Beginn des Ukrainekrieges, als wäre das alles nie geschehen? Zeitgemäß ist das wirklich nicht.

Sie schauen also genauer hin: “Die TIGAS sorgt für Wärme in Tirol”, lesen Sie da. TIGAS, was soll das sein? Hier wird es komplizierter.

TIGAS Werbung auf einem Bus

Um das zu verstehen, muss man etwas ausholen: Die TIWAG – Tiroler Wasserkraft AG ist der Landesenergieversorger Tirols. Zu 100 Prozent im Besitz des Landes und damit der Menschen in Tirol. Das Wasserkraft-Unternehmen wiederum hat eine 100-prozentige Tochterfirma, die TIGAS, und die macht, was der Name sagt, sie verkauft Gas. Ein Wasserkraft-Unternehmen hat eine Gastochter? Klingt komisch? Ist aber dennoch so.

Die TIWAG: sauberes Image, fossile Machenschaften

“TIWAG – Saubere Energie aus Tirol” ist das Werbeversprechen der TIWAG. Nach außen gibt man sich ein sauberes Image, doch in Wirklichkeit fördert man fossile Energieträger. Wie sieht das in der Praxis aus?

Die TIGAS ist Tirols größter Gasversorger. Das Unternehmen verkauft Gas an rund 120.000 Tiroler Haushalte und Betriebe in 175 Gemeinden. Ein Geschäft, an das man im TIWAG-Konzern glaubt. Erst im Juni 2022 hat TIWAG-Chef Erich Entstrasser – damit auch der Chef der TIGAS – in einem Interview festgehalten, dass er einen Gas Ausstieg für “unrealistisch” hält. Er glaubt also daran, dass es auch in zehn Jahren noch Gas in Tirol geben wird. Das muss der TIWAG-Chef auch, denn kaum ein anderes Energieunternehmen hat in den letzten Jahren so sehr auf den Ausbau der Gasversorgung gesetzt.

Wie sehr man bei der TIWAG vom Gas überzeugt ist zeigt noch am 30.1.2023 ein Blick auf ihre Homepage (Quelle 2):

TIWAG website spricht vom umweltfreundlichen Gas

Der Weg in die Gasfalle – TIGAS pumpt Millioneninvestitionen in nicht zukunftsfähigen Energieträger

Dass ein Wasserkraft-Unternehmen 2023 für Gas wirbt, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hat einen langen Vorlauf: Bereits 2014 kritisierte der Tiroler Publizist und TIWAG-Aufdecker Markus Wilhelm, dass die TIGAS noch die letzten Winkel Tirols ans Gasnetz anschließen würde. Schon damals bemängelte er die fatale Abhängigkeit von Russland, war es doch 2014 erstmals zu einer massiven Verschärfung des Ukraine-Konflikts gekommen. Während sich das Land Tirol gerade das Ziel gab, bis 2050 “energieautonom” zu werden, also den Energiebedarf Tirols zur Gänze aus erneuerbaren Energieträgern zu decken, plante die TIGAS den Ausbau des Gasnetzes tief ins Zillertal, Ötztal, Paznauntal und Wipptal. (Quelle 3)

Das hat sich seither nicht geändert. Noch im Geschäftsbericht 2021 (Quelle 4) lobt sich die TIWAG, in diesem Jahr das Gas- und Fernwärmenetz um 34 Millionen Euro ausgebaut zu haben. Dementsprechend konnte man sich auch über einen Ausbau des Gasnetzes von 3849 auf 3926 Kilometer freuen. 18 Mal könnte man dieses TIGAS-Netz in Tirol vom äußersten Westen in den äußersten Osten legen.

TIWAG & Photovoltaik? Fehlanzeige

Zum Vergleich: Nur 8 Millionen Euro entfielen 2021 auf den Ausbau der Fernwärmenetze und gerade einmal um 112.268 kw wurde die Photovoltaik 2021 von der TIWAG ausgebaut. (Quelle 5) Das sind kümmerliche 0,0026 Prozent der gesamten TIWAG-Strommenge. In diesem Tempo würde es 200 Jahre dauern, bis die TIWAG die Hälfte ihres Stroms aus Photovoltaik erzeugt. Den Photovoltaik-Ausbau hat man also verschlafen. Das Gasnetz wurde dafür 2020 und 2021 jeweils um die Distanz Innsbruck-Kufstein – also je rund 70 weitere Kilometer – ausgebaut. (Quelle 6) Das zeigt sich auch bei den Gas-Kundinnen und -kunden: 2020 und 2021 konnte man sich über je rund 1.000 Neuzugänge aus Tirol “freuen”. (Quelle 7)

Gas für Tirol, Gas für die Nachbarn

Gas ist ein gutes Geschäft, nicht nur in Tirol. Nur rund 60 Prozent des Gasabsatzes gingen 2021 nach Tirol. Den Rest verkaufte man ins übrige Österreich, nach Deutschland und Italien. Neben der TIGAS ist die TIWAG nämlich über die Selgas in Südtirol, die der TIWAG gemeinsam mit dem Unternehmen Selfin gehört, sowie über Beteiligungen an der Südtirolgas AG und der Bayerngas GmbH im Gasgeschäft tätig.
Der gesamte Erd- und Biogas- Absatz betrug 2021 6.194 GWh, eine erhebliche Steigerung um mehr als 10 Prozent gegenüber dem Jahr davor.

TIGAS stoppt Gas-Werbung nach öffentlichem Druck erst im Jahr 2022

Der ständige Ausbau des Gasbereichs durch die TIWAG wurde leider lange zu wenig beachtet. Mit dem Ukrainekrieg änderte sich der Blick auf das Gasgeschäft in der Bevölkerung jedoch dramatisch.

TIGAS wirbt massiv fuer Gasheizungen

Peinlich wurde es dann Anfang April 2022, als der ORF in Tirol thematisierte (Quelle 8), dass die TIGAS immer noch für neue Gasheizungen warb – unter anderem mit der oben abgebildeten Werbung. Erst zu diesem Zeitpunkt zog Energie-Landesrat Josef Geisler die Notbremse und erklärte, dass man das Gasnetz nicht mehr weiter ausbauen und den Umstieg auf Gas nicht mehr bewerben wolle. (Quelle 9) Was – siehe unseren Bus in Innsbruck im Jänner 2023 – offenbar noch nicht wirklich bei der TIWAG angekommen ist.

So oder so kommt die Entscheidung spät, denn wie ZIB2-Moderator Martin Thür aufgedeckt hat (Quelle 10), war die TIWAG bis ins Jahr 2022 österreichweit federführend beim Ausbau des Gasnetzes.

TIGAS Gasanschlüsse

Im ersten Halbjahr 2021 gab es österreichweit nur in Wien in absoluten Zahlen mehr neue Gasanschlüsse als in Tirol. Und auch im ersten Halbjahr 2022 befand man sich hinter den viel größeren Bundesländern Wien und Niederösterreich auf Platz 3. Gemessen an der Bevölkerung waren es freilich in Tirol weit mehr Gasanschlüsse.

Im November 2022 hat Global 2000 dann beklagt, dass die TIGAS der letzte Energiekonzern am österreichischen Markt ist, der den Einbau von Gasheizungen und Gaswärmepumpen noch mit 500 bis 6.000 Euro pro Heizung fördert. Laut dem “Gas Greenwashing Report 2022” der Umweltorganisation zählt die TIGAS zu den drei hartnäckigsten Blockierern beim Ausstieg aus Gasheizungen in Österreich. (Quelle 11)

Tatort Kaunertal (c) Sebastian Fröhlich

Tatort Kaunertal

Eine 7-teilige Serie über den Energiekonzern TIWAG und das Monster-Kraftwerk Kaunertal

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Immer weiter in die falsche Richtung: TIWAG hat Gas-Austieg verschlafen

Die TIWAG hat sich also ohne Not in den vergangenen Jahren in eine große Abhängigkeit vom Gasgeschäft gebracht. Statt sukzessive auszusteigen, hat man das Netz immer weiter ausgebaut und sich im Ausland an Gasunternehmen beteiligt. Nun besitzt man ein teures Netz und Beteiligungen in einem Geschäft, das weder nachhaltig noch zukunftsorientiert ist. Trotz sauberem Image war das Gasgeschäft offenbar einfach wichtiger für das Unternehmen.

Biogas – Die Zukunft des Tiroler Gasnetzes?

Unklar ist auch, was die TIWAG mit dem Gasnetz in Zukunft machen will. Die TIWAG gibt zwar an, dieses Netz in Zukunft für Wasserstoff und Biogas verwenden zu wollen. Doch für die realistischen Produktionsmengen und Einsatzfelder in der Zukunft wäre dieses Netz völlig überdimensioniert. 90 Terawattstunden Gas verbraucht Österreich nämlich jährlich, nur drei davon kommen aus Biogasanlagen. Derzeit wird fast das ganze Biogas verstromt, im Gasnetz beträgt der Anteil von Biogas nur 0,15 Prozent. (Quelle 12)

Dieser Anteil ist zwar steigerbar. Fünf Terawattstunden Biogas für Österreich schreibt das Erneuerbaren Ausbaugesetz (EAG) bis 2030 vor. Doch selbst wenn es gelingt, den jetzigen Anteil entsprechend zu verhundertfachen, reicht das Biogas gerade einmal für 15 Prozent des derzeitigen Gasverbrauchs in Österreich. Es wird also nie genug Biogas geben, um konventionelles Gas zu ersetzen. Biogas kann eine Möglichkeit sein für schwer auf Erneuerbare Energien umstellbare Bereiche, beispielsweise in der energieintensiven Industrie, aber nicht um Tirol mit Wärme zu versorgen. Das wäre ineffizient und teuer für die Haushalte.

Erhebliche Schäden fürs Klima

Eine Entscheidung, die dramatische Folgen hat. Die TIWAG verursacht mit ihrem Gasgeschäft nämlich auch erhebliche Klimaschäden. Eine Kilowattstunde Erdgas verursacht laut e-control 400 Gramm CO2. (Quelle 13) Die 6.194 Gigawattstunden Erdgas der TIGAS verursachen somit 2,7 Millionen Tonnen CO2 oder 3,5 Prozent des gesamten CO2 Verbrauchs in Österreich!

Nur eine naturverträgliche Energiewende ist zukunftsfähig

Umweltorganisationen wie der WWF fordern deshalb schon lange einen Umstieg auf erneuerbare Energien. Bei der TIWAG stoßen sie dabei auf taube Ohren. Denn die TIWAG gibt sich zwar grün, fördert aber gleichzeitig Gas. Das ist kein Weg in die Zukunft und gehört sofort geändert, wie der WWF erst kürzlich gefordert hat. (Quelle 14)

Warum ein Unternehmen wie die TIWAG, das dem Land gehört und damit im Interesse der Tiroler Bevölkerung handeln sollte, sich so schwer tut mit einer nachhaltigen und sauberen Unternehmensführung, schauen wir uns im nächsten Teil der Serie “Die TIWAG – Konzern ohne Aufsicht” an.

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Tatort Kaunertal (c) Sebastian Fröhlich

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