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Tatort Kaunertal #3: Wasserkraft – Die unsichtbare Gefahr
Es muss ein unglaublicher Lärm gewesen sein. Menschen, Tiere, Autos, Häuser flogen durch die Luft. Sie wurden oft hunderte Meter weit geschleudert. Noch lange bevor das Wasser überhaupt kam. “Ich weiß nur noch, dass ich durch die Luft geflogen bin, 350 Meter weit. Und dass sie mich nachher nur deshalb gefunden haben, weil meine Hand aus dem Geröll ragte”, schilderte später einer der wenigen Überlebenden. (Quelle 1)
Es war der 9. Oktober 1963, um 22:39 Uhr – und noch vor wenigen Minuten schliefen, lachten, träumten die Menschen im engen Vajont-Tal in Norditalien und ahnten nichts von der Katastrophe, die sich gerade ereignet hatte. Kurz zuvor waren 260 Millionen Kubikmeter Gestein in den Vajont-Stausee gestürzt.
Schon die Druckwelle richtete verheerende Schäden an. Durch den Hangrutsch schwappte zusätzlich das Wasser über die Staumauer und 25 Millionen Kubikmeter Wasser, rund ein Sechstel des Stauvolumens, entfachten eine ungeheure Wucht und ergossen sich in einer verheerenden Flutwelle über das Tal. 2.000 Menschen fanden den Tod. In wenigen Augenblicken, durch eine Welle, die mit mehr als 100 km/h durch das Tal raste. Viele wurden nie gefunden, weil die Welle die ganze Piave entlang bis in die Adria alles mitriss, was ihr nicht standhalten konnte. Ortschaften und ein ganzes Tal wurden für immer zerstört. Am 9. Oktober jährt sich die Katastrophe von Vajont zum 60. Mal. Die schlimmste Katastrophe, die Wasserkraft bisher in Europa verursacht hat. (Quelle 2)
Die Katastrophe von Vajont: Ein menschliches Versagen
Die Katastrophe war aber nicht einfach ein Unglück, sondern ein menschliches Versagen. Die Elektrizitätsgesellschaft Sade wollte die höchste Staumauer der Welt bauen, ignorierte Warnungen von Geologen, bei der Bewilligung wurde getrickst und selbst als schon offensichtlich war, dass große Gefahr bestand, wurde weiter gebaut.
Der österreichische Geologe Müller sah als erster einen 600 Meter dicken und zwei Kilometer langen Abriss entlang des Berghanges. Dieser Abriss hatte die Form eines großen “M”. Müllers Warnungen wurden ignoriert, die Gesellschaft suchte andere Gutachter, die weniger sahen. Selbst als ein Teil des Hanges – M-förmig wie von Müller prognostiziert – in den Stausee rutschte, wurden seine Warnungen nicht gehört. Bis es am 9. Oktober zur Katastrophe kam. Einige Gefängnisstrafen für Verantwortliche und 11 Millionen Euro Entschädigung sind die bescheidene Bilanz der Aufarbeitung dieser menschengemachten Katastrophe. (Quelle 3)
Die Vajont-Staumauer steht noch heute, wie das obenstehende Bild zeigt. Nichts deutet darauf hin, welche Katastrophe sich hier einst ereignet hat. Die Gefahr durch Wasserkraftwerke ist eine stille, doch auch eine umso bedrohlichere.
Wasserkraftwerke als Gefahr
Leider ist die Katastrophe von Vajont kein Einzelfall. Katastrophen sind ein ständiger Begleiter der Geschichte der Wasserkraftwerke. Wenn man Energiequellen nach direkten Todesfolgen ansieht, also ohne indirekte Effekte wie die Gesundheitsschädigung durch fossile Energieträger, gehört Wasserkraft sogar zu den gefährlichsten Energieträgern. Pro Terawattstunde sind bisher weltweit 1,5 Menschen an Wasserkraft-Katastrophen gestorben. (Quelle 4)
Das Risiko der Wasserkraft steigt weltweit immer mehr. Weil immer mehr Wasserkraftwerke gebaut werden und weil ihr Durchschnittsalter immer weiter steigt. Erosion, Alterung und die andauernde Gefahr womöglich unterschätzter Hangrutschungen machen die Wasserkraft zu einem immer gefährlicheren Energieträger. Aber auch wegen der Klimakrise, die die Naturlandschaften verändert und damit auch die Erde in Bewegung bringen kann. (Quelle 5)
Ein UNO-Bericht von 2021 warnt, dass bis 2050 die Mehrheit der Menschheit am Unterlauf von Dämmen leben wird, die zwischen 1930 und 1970 errichtet wurden. Da ein Damm bei guter Wartung höchstens hundert Jahre in Betrieb sein kann, bevor er zu altern beginnt, stehen in den kommenden Jahren unzählige Dämme weltweit vor umfangreichen Sanierungen oder der Stilllegung. Die Gefahr aus den immer älter werdenden Dämmen wächst, da die Erderhitzung den Alterungsprozess beschleunigt. (Quelle 6)
Wasserkraft als Gefahr? Kein Thema in Österreich
In Österreich wird Wasserkraft als saubere und sichere Energieform vermarktet. Die Gefahren sind in der öffentlichen Diskussion kaum ein Thema. Das gilt auch für das Tiroler Wasserkraft-Unternehmen TIWAG. Ähnlich wie beim immer noch nicht erfolgten Gasausstieg, oder auch bei der eigenen fehlenden Aufsicht, agiert die TIWAG auch in Bezug auf die Gefahren der Wasserkraft intransparent.
Das betrifft vor allem das geplante Monsterprojekt für den Ausbau des Kraftwerks Kaunertal. Derzeit liefert der Gepatschspeicher das bestehende Kraftwerk Kaunertal, er ist der größte Speicher der Ostalpen. Dennoch will der TIWAG-Konzern die Anlage massiv ausbauen. Doch schon jetzt ist die Erde im Kaunertal in Bewegung. 290 Millionen Kubikmeter Gestein bewegen sich dort. Theoretisch genug, um ganz Innsbruck unter 3 Metern Geröll zu begraben. (Quelle 7)
Hänge um das Kraftwerk Kaunertal schon jetzt eine Gefahr
Zwei geologische Gutachten aus den Jahren 2016 und 2020, die im Zuge eines Behördenverfahrens für die Errichtung von Lawinen-Sprengmasten eingebracht wurden, zeigen die Instabilität der Hänge um den Gepatschspeicher. Seit Jahrzehnten sind die massiven Hänge schon in Bewegung. Als Hauptgrund dafür nennen beide Stellungnahmen den Betrieb des Wasserkraftwerks. Die ständige Wasserspiegelschwankung im Speicher bewegt auch die Erde. Was bisher schon zu einem instabilen Hang führt, droht in Zukunft noch ein weit größeres Risiko zu werden, denn durch die geänderte Betriebsweise ist auch mit stärkeren und schnelleren Wasserstandsschwankungen zu rechnen – womit auch die Gefahr von Hangrutschungen steigt. (Quelle 8)
Schon bisher kommt es immer wieder zu Hangrutschungen. So etwa 2019, als die TIWAG selbst zugab, dass sich der Hang stärker als bisher bewegt. Vorübergehend musste sogar die Uferstraße gesperrt und der Betrieb des Kraftwerks geändert werden. Potentielle Gefahr wurde angeblich keine gesehen. Vielmehr erklärte Vorstand Johann Herdina, der Hang sei einer der best überwachten im ganzen Bezirk Landeck. Was das genau heißen soll und wie intensiv Hänge im Bezirk Landeck ansonsten überwacht werden, sagt das freilich nicht. (Quelle 9)
Dabei sind die Gefahren durch den Gepatschspeicher lange bekannt und gut dokumentiert. Beispielsweise führte der TIWAG-Aufdecker Markus Wilhelm bereits 2004 ein Interview mit einem Hochgebirgsforscher und veröffentlichte dabei diese alte Aufnahme. Gut erkennbar ist die Hangrutschung in Form eines “M”, wie wir sie auch schon von der Vajont-Katastrophe kennen.
Mit dem Klimawandel steigt die Gefahr
Die Gefahren, die schon bisher in den Hängen oberhalb des Gepatschspeichers schlummern, werden sich in den kommenden Jahren erhöhen. Denn Tirol ist von der Erderhitzung so wie der gesamte Alpenraum besonders stark betroffen. Die Landschaft verändert sich bereits massiv: Permafrostböden tauen auf, Gletscher schmelzen, es gibt mehr Starkregen, aber auch mehr Dürren. Das führt zu verstärkten Hangaktivitäten und mehr Fels- und Steinschlag. Die Klimakrise beschleunigt und verstärkt die Hangrutschungen. Besonders gefährlich in einer Region wie dem Kaunertal, wo bereits jetzt die Hänge massiv in Bewegung sind. (Quelle 10) Schon die Aufnahme des Staubetriebs im Kaunertal in den 1960ern hat die Uferstraße um unglaubliche 12 Meter absacken lassen. 2019 musste die TIWAG den Staubetrieb wegen verstärkter Rutschungen einschränken. Gefahren, die mit dem Klimawandel stärker werden. Die Hänge um den Gepatschspeicher werden zwar überwacht, wie eine Darstellung der Hang-Überwachungen durch die TIWAG zeigt. Das Bild zeigt aber auch eindrücklich, welche potentielle Gefahr in einem Stausee schlummert, wenn die Hänge im engen Tal in Bewegung kommen. Die Aktivitäten im Berg nehmen zu. Seit 2015 kommt es zu verstärkten Hangrutschungen und 2019 wurde sogar ein abgesicherter Bereich samt Sicherheitsnetz mitgerissen. (Quelle 11)
Kraftwerksbetrieb als Ursache der Hangrutschungen
Der Zusammenhang zwischen den Hangrutschungen und dem Ab- beziehungsweise Aufstauen des Kraftwerks ist gut dokumentiert. Mit Errichtung des Kraftwerks rutschte die Uferstraße ab; in den Folgejahren kam es zu verstärkten Hangrutschungen, die sich in den vergangenen Jahren beschleunigt haben. Diese ohnehin schon große Vorbelastung des Kaunertals würde durch einen Ausbau des Kraftwerks massiv verschärft. Dennoch beharrt die TIWAG auf ihren Plänen. Der Konzern beruft sich dabei auf ein zehn Jahre altes Gutachten der Staubeckenkommission, das den Ausbau laut Auskunft der TIWAG 2015 positiv beurteilte. Das sind keine ganz taufrischen Zahlen mehr. Selbst diese Gutachten sind für die Öffentlichkeit aber nicht einsehbar.
Zuletzt kam politische Bewegung in das umstrittene Projekt Kaunertal. Die Zeit drängt. Ende Februar reicht die Tiwag das Projekt erneut vollumfänglich beim Land Tirol ein. Dann liegt es bei der UVP Behörde des Landes, die Vollständigkeit der Projektunterlagen zu beurteilen. Zuletzt kam politische Bewegung in die Sache. Der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle forderte Transparenz und dass der Kaunertaler Gemeinderat schon vor Beginn der UVP alle Unterlagen der TIWAG einsehen könne. (Quelle 12)
Unabhängige Bewertung der Gefahr dringend nötig
Doch um diese Gefahren richtig beurteilen zu können, braucht es eine breite und vor allem unabhängig erstellte Bewertung. Beim geplanten Ausbau des Kaunertal-Kraftwerks kann das Thema Naturgefahren nicht in einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) abgehandelt werden. UVPs sind Bewilligungsverfahren und prinzipiell dafür da, Projekte zu genehmigen und Auflagen zu formulieren.
Die Frage, ob das geplante Kaunertal-Projekt die Bergeinhänge instabiler macht, hätte grundsätzlich vorab in einer strategischen Umweltprüfung (SUP) beurteilt werden müssen, im konkreten Fall etwa im Wasserwirtschaftlichen Rahmenplan Tiroler Oberland oder im Optionenbericht des Landesenergieversorgers Tiwag. Beides ist aber nicht passiert.
Der WWF fordert deshalb eine unabhängige Fachleute-Kommission und einen transparenten Zugang zu den existierenden Gutachten. (Quelle 13) Klimaszenarien und aktuelle geologische Gutachten gehören einbezogen und zwar noch bevor geklärt werden kann, ob zusätzliche Wasserkraftprojekte im Rahmen einer UVP genehmigungsfähig sind. Womöglich ist nämlich sogar das Gegenteil notwendig, nämlich eine Einschränkung des bestehenden Betriebs. Wenn die Gutachten das ergeben.
Wie wichtig das wäre, zeigt ein Blick zurück in die Geschichte. Auch vor der Katastrophe im norditalienischen Vajont-Tal gab es Gutachten des Betreibers, die keine Risiken durch das Kraftwerk sahen, und externe Gutachten, die sehr wohl eine Gefahr sahen. Schrecklicherweise irrten damals die abwiegelnden Gutachten.
Wasserkraft: Sicherheit muss vor Profit kommen
Sicherheit muss vor Profit gehen. Lieber ein Gutachten mehr, eine Runde mit Fachleuten zusätzlich, eine weitere Untersuchung, als dass es irgendwann im Katastrophenfall heißen würde, man hätte das ja alles ahnen können. Man wollte es nur nicht sehen, weil Profite wichtiger waren als alles andere. Was es wirklich braucht, ist eine Neubewertung der Wasserkraft. Gerade in geologisch gefährdeten Gebieten kann ein Wasserkraftwerk immer nur ein managen von Risiken sein, die Möglichkeit mehr Sicherheit auf Zeit zu bekommen, aber niemals ein Ende des Risikos selbst. Die Last der Wasserkraftwerke, die in den letzten Jahrzehnten gebaut wurden, trägt noch viele Jahrzehnte schwer auf unseren Schultern. Zusätzliche Risiken mit neuen Kraftwerken sind so kaum zu argumentieren.
Kraftwerke machen die Natur zur Gefahr für uns. Die Natur gerät aber auch selbst in Gefahr durch Kraftwerksbauten. Darum, wie die Natur bei Kraftwerksbauten auf der Strecke bleibt, geht es in unserem nächsten Beitrag.
Links
- Petition „Stopp Ausbau Kraftwerk Kaunertal“
- Mehr Informationen zum Ausbau des Kraftwerks Kaunertal
Quellenangaben zum Text
01 – 50 Jahre nach dem Bergsturzvon Vajont https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.50-jahre-nach-dem-bergsturz-von-vajont-aus-2000-toten-nichts-gelernt.37aa8a5f-d820-41de-87b8-68e28bb2754d.html Am 11.2.2023
02 – 50 Jahre nach dem Bergsturz von Vajont https://www.alpenverein.at/leibnitz_wAssets/docs/Einladungen-2016/Tragoedie-von-Langarone.pdf Am 11.2.2023
03 – Als die Bergmassen in den See rutschen. https://www.derstandard.at/story/3093808/als-die-bergmassen-in-den-see-rutschten Am 11.2.2023
04 – Death per TWh https://www.nextbigfuture.com/2008/03/deaths-per-twh-for-all-energy-sources.html Am 11.2.2023
05 – Warum Staudämme gefährlich sind https://scilogs.spektrum.de/fischblog/staudaemme-gefaehrlich/ Am 11.2.2023
06 – UNO-Studie zur Dammalterung https://unu.edu/media-relations/releases/ageing-dams-pose-growing-threat.html Am 17.2.22023
07 – Kraftwerk Kaunertal: wieso der massive Ausbau eine Gefahr für die Bevölkerung ist https://www.wwf.at/artikel/kraftwerk-kaunertal-wieso-der-ausbau-eine-gefahr-fuer-die-bevoelkerung-ist/ Am 11.2.2023
08 – Kraftwerksbau und Klimakrise https://www.meinbezirk.at/landeck/c-lokales/warnung-vor-steigenden-naturgefahren-beim-kraftwerksausbau_a5811730 Am 11.2.2023
09 – Hang beim Gepatsschspeicher ist in Bewegung https://www.meinbezirk.at/landeck/c-lokales/kaunertal-hang-beim-gepatschspeicher-ist-in-bewegung_a3495678 Am 11.2.2023
10 – Naturgefahren Kaunertal https://www.wwf.at/wp-content/uploads/2023/01/WWF_Factsheet_Naturgefahren.pdf Am 11.2.2023
11 – Factsheet Naturgefahren https://www.wwf.at/wp-content/uploads/2023/01/WWF_Factsheet_Naturgefahren.pdf Am 11.2.2023
12 – https://www.derstandard.at/story/2000143574803/megakraftwerk-kaunertal-tausche-hochmoor-gegen-gruenen-strom Am 19.2.2023
13 – WWF: Instabile Hänge beim Kraftwerksbau https://tirol.orf.at/stories/3190050/ Am 11.2.2023
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