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Tatort Kaunertal #4: Wasserkraft – sauberes Image, zerstörte Natur

Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom, sagt der Volksmund. Nur tote Fische bleiben nach Kraftwerksbauten zurück, zeigt die Wirklichkeit. Denn auf einmal sind die Fische weg. So geschehen 1923 am Inn in Tirol. Im Jahr davor holten die 273 Berufsfischer, die es damals alleine im Bezirk Kufstein noch gab, 6.825 Kilogramm Barben aus dem Inn. Im folgenden Jahr waren es dann nur noch einige wenige Fische und bereits im Jahr 1925 wurde nur noch eine einzige Barbe im ganzen Tiroler Inn gefangen. Was war geschehen? 1923 wurde im bayerischen Jettenbach eine Stauwehr errichtet und keine einzige Barbe kam mehr nach Tirol. (Quelle 1) Die Berufsfischerei brach zusammen und die Barbe ist vom Speiseplan der Tiroler fast vollständig verschwunden.

Wasserkraft: Eine Ursache des Fischsterbens

Heute gilt die Barbe als stark gefährdet und ihr Vorkommen in ganz Österreich hat sich deutlich reduziert. (Quelle 2) Kein Einzelfall, denn nicht nur moderne Konsumgewohnheiten und Überfischung, auch die Wasserkraft hat zu einem massiven Artensterben und Einbruch der Anzahl an Fischen geführt. Pro Jahr stirbt in Österreich die unglaubliche Zahl von bis zu 200 Millionen Jungfischen und Fischlarven durch die Wasserkraft, wie der WWF berechnet hat. Hauptgrund dafür ist der Schwallbetrieb. Also das Auf- und Absenken des Wasserstands im Fluss, verursacht durch den Betrieb von Wasserkraftwerken. Das plötzliche Ablassen des Wassers und die dadurch entstehenden Schwallwellen, die einen Fluss in einen reißenden Strom verwandeln, bedeuten den Tod für viele Jungfische und Fischlarven. Dieser Belastung halten sie nicht stand, sie hat nichts mit ihren natürlichen Lebensbedingungen zu tun (Quelle 3) – wie dieses eindrückliche Video (Quelle 4) zeigt:

​Schwall und Sunk: Tod für die Fische

Je mehr der Kraftwerksbetrieb der Speicherkraftwerke optimiert wird, um den Strom genau dann zu produzieren, wenn an den Börsen die besten Preise erzielt werden, desto häufiger kommt es zu künstlichen Wasserstandsschwankungen. Gut für die Dividende, aber sehr schlecht für die Fische. Die täglichen Wasserstandsschwankungen spülen Wassertiere weg, oder lassen sie, wenn das Wasser plötzlich wieder zurückgeht, auf dem Trockenen ersticken. Mit dieser Lebensrealität sind Fische tatsächlich konfrontiert. Und das auf 725 Kilometer Flussstrecke, das sind über 10 Prozent der mittleren und größeren Flüsse Österreichs. Sie sind so stark belastet, dass sie EU-rechtlich saniert werden müssen. (Quelle 5)

Massentötung von Fischen – ein Verstoß gegen den Tierschutz

2021 hat der WWF gemeinsam mit dem Ökobüro eine Studie (Quelle 6) in Auftrag gegeben, die den Schwallbetrieb als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz erkannt hat – rechtlich handle es sich dabei nämlich um das fahrlässige Töten von Tieren. Um das mit dem Tierschutz in Einklang zu bringen, bräuchte es laut Gesetz einen vernünftigen Grund. Die reine Optimierung für den Profit durch einen Schwallbetrieb, der auf den Börsenpreis optimiert ist, ist kein solcher vernünftiger Grund. Denn es gibt Alternativen. fischlose, tote Gewässer für den Wassserkraftbetrieb sind kein Naturgesetz.

Das alles hat Folgen. Im Tiroler Inn leben heute nur mehr 20 Prozent des natürlichen Fischbestandes, wie der Tiroler Fischereiverband warnt. (Quelle 7) Der größte Wasserkraftbetreiber in Tirol ist die TIWAG – die Tiroler Wasserkraft AG. Das Unternehmen hat die Wasserkraft im Namen und den Wasserkraftbetrieb für Profitmaximierung optimiert . Die TIWAG sieht keine Schuld bei sich (Quelle 8), aber selbst der Rechnungshof machte 2021 zum Thema, dass das Gemeinschaftskraftwerk Inn nur mehr unter großen Umweltauflagen und enormen Kosten genehmigt wurde. (Quelle 9)

Vor der Landtagswahl 2022 kritisierte der Fischereiverband, dass die TIWAG zunehmend Fischereirechte in Tirol erwerben würde. (Quelle 10) Was sicher nicht dem Interesse der Allgemeinheit dient, wie der Fischereiverband festhält. 2015 machte TIWAG-Aufdecker Markus Wilhelm darauf aufmerksam, dass die TIWAG der Fischereivereinigung Oberes Gericht jährlich 7050 Euro überweist unter der Auflage, sich “nicht öffentlich gegen eine Realisierung des Grenzkraftwerks (Gemeinschaftskraftwerk) Inn einzusetzen”. (Quelle 11) Ein ganz eigenes Interesse an der Fischerei ist also bei der TIWAG nur schwer zu leugnen. Für den Schutz der Fische bräuchte es freilich ganz andere Maßnahmen:

Aus Sicht des WWF ist gegen die Schwallbelastung an Flüssen eine Sofortmaßnahme dringend nötig: ein Jungfisch-Fenster, – also eine achtwöchige Schonzeit zwischen Mai und Juni, um Jungfischen eine bessere Überlebenschance zu geben. (Quelle 12)

Trotz sauberen Images: Wasserkraft zerstört Natur

Doch so notwendig Sofortmaßnahmen sind, damit ist es nicht getan. Trotz ihres sauberen und grünen Images ist die Wasserkraft bei weitem nicht so umweltfreundlich, wie es scheint. Was bei den Fischen anfängt, ist nur ein kleiner Teil der verheerenden Naturzerstörung als Folge der Wasserkraft.

Im Gegensatz zu einem fossilen Kraftwerk ist diese Umweltzerstörung nicht offensichtlich. Wasser steht für Sauberkeit, davon profitiert auch die Wasserkraft. Ob das Leben im Fluss stirbt, sieht man dem Wasser nicht auf den ersten Blick an. Was sich unterhalb der Wasseroberfläche abspielt, machen sich deshalb nur wenige bewusst. Doch neben dem Massensterben der Fische nimmt auch der Fluss selbst Schaden durch Wasserkraft.

Österreichs Wasserkraftwerke verfehlen ökologische Mindeststandards

Laut Angaben des zuständigen Ministeriums erfüllen 70 Prozent der heimischen Wasserkraftwerke die ökologischen Mindeststandards nicht. An die 60 Prozent der Flüsse sind sanierungsbedürftig, 60 Prozent der heimischen Fischarten sind gefährdet und nur mehr 14 Prozent der Flüsse sind ökologisch intakt. Dafür gibt es viele Ursachen, aber der exzessive Ausbau der Wasserkraft ist eine ganz entscheidende.

Wie eine aktuelle Übersicht des WWF zeigt, sind Österreichs Flüsse in einem unglaublichen Ausmaß von Wasserkraftwerken durchzogen. (Quelle 13) Denn alleine in Österreich gibt es mehr als 5.200 Wasserkraftwerke. Ein natürlicher Fluss ist längst die Ausnahme und nicht mehr die Regel. (Quelle 14)

Kraftwerke in Österreichs Fließgewässern (c) WWF

Wasserkraft: Potential für naturverträglichen Ausbau ist ausgeschöpft

Es gibt kaum mehr Potential für einen zusätzlichen naturverträglichen Ausbau der Wasserkraft in Österreich. Dennoch wird die Wasserkraft weiter vorangetrieben. Welche enormen Eingriffe in einen Fluss notwendig sind, um ein Wasserkraftwerk zu errichten, macht man sich oft nicht bewusst. Kein Wunder, denn nach der Fertigstellung deckt der Fluss die Gesteinwüste, die durch den massiven Natureingriff entstanden ist, wieder zu. Wie massiv dieser Eingriff sein kann, zeigt dieses aktuelle Video vom Bau des Speichers für das Kraftwerk Kühtai in Tirol. Aus einer ehemaligen Flusslandschaft ist eine Mondlandschaft geworden.

Beispiellose Naturzerstörung: Ausbau Kraftwerk Kaunertal

Ein Projekt, das besonders heftig kritisiert wird, ist der Ausbau des Kraftwerks Kaunertal in Tirol. Was auf nach einer „harmlosen“ Erweiterung klingt, entpuppt sich jedoch als Mega-Kraftwerksprojekt, das eine der letzten nahezu unberührten hochalpinen Landschaften und zwei Flussheiligtümer für immer zerstören würde. Trotz der Naturgefahren, die aus dem Kraftwerksbau entstehen und obwohl der TIWAG die Kosten davonlaufen, wird an dem Projekt festgehalten.

Zerstörung der letzten natürlichen Flüsse

Das Projekt bedroht einige der letzten unverbauten Flüsse Tirols. Venter und Gurgler Ache sind seit 1998 als nationale Flussheiligtümer ausgewiesen. Eine Auszeichnung, von WWF und Landwirtschaftsministerium verliehen, die 74 Gewässer in Österreich als besonders schützenswert kennzeichnet und sie so dauerhaft vor Eingriffen bewahren soll. (Quelle 15)

Für das Kraftwerk Kaunertal muss diese hochalpine Landschaft jahrzehntelang in eine Baustelle verwandelt werden. Die Venter und Gurgler Ache müssen aufgestaut und über ein kilometerlanges Leitungssystem ins Kaunertal geleitet werden. Denn nur so kommt überhaupt genug Wasser für das Projekt zusammen. Dem wasserarmen Ötztal würde damit weiter Wasser entzogen und das alles nur, um ein weiteres Kraftwerk in die ohnehin schon mit Wasserkraft übervolle alpine Tiroler Landschaft zu stellen.

Die Zerstörung der Moore

Die Auswirkungen beschränken sich aber nicht nur auf das Wasser selbst. Im Platzertal befindet sich das größte unerschlossene Moor der österreichischen Hochalpen. Wegen ihrer besonderen Bedeutung bei der Bekämpfung der Klimakrise müssen die letzten verbliebenen heimischen Moore dringend unter Naturschutz gestellt werden. Denn 90 Prozent der ursprünglichen Moorlandschaften Österreichs sind bereits zerstört, nur ein Prozent gilt noch als unberührt – und diese Zerstörung droht sich im Platzertal fortzusetzen.

Auf mehr als 20 Hektar befindet sich im Platzertal ein Naturjuwel, das als Lebensraum bedrohter Tiere und Pflanzen ebenso wichtig ist, wie es als Kohlenstoffspeicher gegen die Klimakrise wirkt. Mit dem Kaunertalkraftwerk ist es massiv bedroht. Denn das Projekt würde eine Staumauer im Platzertal und damit eine teilweise Flutung des Moores bedeuten – die wohl größte geplante Moorzerstörung in Mitteleuropa. Ein vermeintlich klimafreundliches Projekt trägt so zur massiven Naturzerstörung und letztlich durch die Zerstörung von Mooren auch zur Klimakrise selbst bei.

Zur Beschwichtigung plant die TIWAG, das Moor abzutragen und an höherer Stelle wieder zu errichten. Was laut dem Moorexperten Harald Zechmeister von der Universität Wien nicht funktioniert. Stattdessen würden die Moore absterben: Denn wo vor zehntausenden Jahren kein Moor gewachsen sei, werde jetzt auch keines mehr wachsen, so der Moorexperte. (Quelle 16)

Die Tatorte der Zerstörung

Wie die Naturzerstörung des Kaunertals in der Praxis aussieht, zeigt diese Infografik. Schwallbelastung, Moorzerstörung, kilometerlange Wasserrohre, um Wasser von einem Tal ins andere zu leiten, zusätzliche Tunnel für Baufahrzeuge und neue Wasserfassungen belasten diese alpine Landschaft auf Jahrzehnte.

Ausbau Kraftwerk Kaunertal (c) WWF
Tatort Kaunertal (c) Sebastian Fröhlich

Tatort Kaunertal

Eine 7-teilige Serie über den Energiekonzern TIWAG und das Monster-Kraftwerk Kaunertal

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Diese Zerstörung ist nicht nur auf das Ötz- und das Kaunertal beschränkt. Auch der Inn würde schwer beschädigt. Durch die zusätzliche Schwallbelastung würde der Fluss auf einer Länge von vier Kilometern zerstört werden. Wozu das alles? (Quelle 17)

Ein Wasserkraftwerk, das vor Jahrzehnten geplant wurde, soll in über einem Jahrzehnt erst fertiggestellt werden. Ein Symbol des 20. Jahrhunderts als bleibendes Denkmal der Naturzerstörung im 21. Jahrhundert. Die TIWAG selbst sieht ihre Kraftwerke als Beitrag zum Klimaschutz, (Quelle 18) übersieht dabei aber, dass es keinen Klimaschutz ohne Naturschutz geben kann. Tote Flüsse und zerstörte Moore holen uns am Ende auch beim Klimaschutz ein.

Ein Kraftwerk um jeden Preis? Es geht auch anders.

Dass es auch anders geht, zeigt eine andere große Kraftwerks-Entscheidung in Österreich. 1984 hätte im niederösterreichischen Hainburg die Au für ein weiteres Donaukraftwerk zerstört werden sollen. Nach massiven Protesten wurde das Projekt schließlich abgesagt. Was wurde damals nicht alles behauptet? Das wäre der Weg zurück in die Steinzeit, das Licht würde ausgehen. Nichts davon ist passiert und niemand vermisst das Kraftwerk, jeder schätzt den Nationalpark Donauauen. Das ist auch im Kaunertal immer noch möglich.

Vorerst ist das Projekt gegen alle Widerstände weiter geplant. Es ist nicht das erste Mal, dass ein TIWAG-Projekt die Tiroler Natur gefährdet. Im nächsten Teil unserer Serie werden wir zeigen, wie sich die TIWAG im Stil einer Heuschrecke immer weiter in die Tiroler Landschaft gräbt.

Quellenangaben zum Text

01 – Aus Margreiter, Fische Tirols, 1936, Seite 34.

02 -Barbe gefährdet https://oesterreich.orf.at/stories/3130133/ Am 19.2.2023

03 – Fischsterben durch Schwallbetrieb https://www.wwf.at/artikel/schwall-und-sunk/ Am 19.2.2023

04 – Schwall und Sunk https://www.wwf.at/artikel/schwall-und-sunk/ Am 26.2.2023

05 – Österreichs Gewässer in der Krise https://www.wwf.at/oesterreichs-gewaesser-in-der-krise-wwf-fordert-sanierungsoffensive/ Am 26.2.2023

06 – Studie Umweltbüro 2021 ​​ https://www.wwf.at/wp-content/uploads/2021/11/Schwall_Studie_OeKOBUeRO_2021-1.pdf Am 19.2.2023

07 – Fischrechte TIWAG https://www.tiroler-fischereiverband.at/news/interview-zur-landtagswahl-2022.html Am 19.2.2023

08 – https://tirol.orf.at/studio/stories/3032968/ Am 19.2.2023

09 – Rechnungshofbericht Innkraftwerk https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/Tirol_2021_2_TIWAG.pdf Am 19.2.2023 S.13

10 – Fischereiverband https://www.tiroler-fischereiverband.at/news/millionen-getoetete-jungfische-durch-wasserkraft.html Am 19.2.2023

11 – Die TIWAG http://www.dietiwag.org/index.php?id=4470 Am 19.2.2023

12 – Jungfischfesnter https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20211109_OTS0080/neue-studie-schwallbetrieb-der-wasserkraft-verstoesst-gegen-tierschutzgesetz Am 19.2.2023

13 – Flussanierung laut EU-Recht https://www.tiroler-fischereiverband.at/news/millionen-getoetete-jungfische-durch-wasserkraft.html Am 19.2.2023

14 – 5.200 Wasserkraftwerke https://www.wwf.at/das-schuetzen-wir/fluesse/wasserkraft-in-oesterreich/ Am 17.2.2023

15 – Flussheiligtümer https://www.wwf.at/wwf-weiht-flussheiligtum-oetztaler-ache-ein/ Am 21.2.2023

16 – Moorzerstörung im Kaunertal https://www.meinbezirk.at/c-lokales/erstmals-160-hektar-moore-in-oesterreichs-alpen-erfasst_a5872666 Am 22.2.2023

17 – Zerstörung des Inns https://www.wwf.at/artikel/8-absurde-fakten-zum-ausbau-des-kraftwerks-kaunertal/ Am 22.2.2023

18 – TIWAG Selbsteinschätzugn der Wasserkraft https://www.tiwag.at/unternehmen/energiewende/erneuerbare-wasserkraft/ Am 23.2.2023

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