© Matthias Schickhofer
Alpine Freiräume
Die letzten naturbelassenen Teile Österreichs
Alpine Freiräume sind noch besonders ursprüngliche und naturnahe Gebiete. Bis auf landschaftstypische Strukturen wie Gipfelkreuze, Almwege oder Berghütten sind sie von Erschließung und Bebauung weitgehend unversehrt und noch frei von störenden Infrastrukturen, menschlichen Lärmquellen, motorisiertem Verkehr und intensiver Nutzung. Eine solch intakte Natur- & Kulturlandschaft ist die „Seele“ unserer Alpen. Sie stellt uns natürliche Lebensgrundlagen bereit und bietet Schutz vor Naturgefahren, Ruhe und einzigartige Naturerlebnisse. Alpine Freiräume sind damit für Erholung und Gesundheit unentbehrlich.
Fluch und Segen der Berge als Tourismusmagnet
Die Attraktivität und der Erholungswert unserer Natur- und Kulturlandschaft sind das wichtigste Kapital des Tourismus und Hauptgrund, weshalb jährlich mehr als 28 Millionen Menschen unser Land besuchen. Doch mit diesem Segen kommt auch ein Fluch: Um immer mehr Besucher*innen anzuziehen wurden in den letzten Jahren Schilifte, Speicherteiche und andere Infrastruktur. Die ursprüngliche Naturlandschaft und traditionell bewirtschaftete Kulturlandschaften gehen seit Jahrzehnten immer weiter verloren. Heute sind sie in Gefahr zu verschwinden.
Allianz für die Bewahrung der Natur in den Alpen
Mit der „Allianz für die Seele der Alpen“ machen WWF, Österreichischer Alpenverein und Naturfreunde Österreich auf den Wert und die Gefährdung alpiner Freiräume in Österreich aufmerksam. Gemeinsam fordern wir eine strategische und nachhaltige Raumentwicklungspolitik sowie den Schutz der letzten naturbelassenen Landschafts- und Naturräume vor großtechnischer Erschließung.
Geografische Verortung
Fast zwei Drittel der Freiräume liegen in den höchsten Gebirgsregionen, 40% sind Felsen und Gletscher
Zahlen & Fakten
- In Österreich gibt es noch ca. 5.900 km2 weitgehend naturbelassene und großtechnisch unerschlossene Landschaftsräume, das sind 7% der Staatsfläche
- Durch die Protokolle der Alpenkonvention ist Österreich schon seit rund 20 Jahren zum Schutz der Naturräume der Alpen verpflichtet
- Viele der letzten ungestörten Wildbäche und Moorlandschaften Österreichs finden sich in hochalpinen Seitentälern
Tier- & Pflanzenwelt
Alpenmurmeltier, Bartgeier, Steinbock, Gämse, Schneehase, Schneehuhn, Steinadler, Gelber Enzian u.v.m.
Bedrohungen
Das bedroht die alpinen Freiräume
Bedrohung 1: Endlose Skigebiete
2017 gab es in Österreich bereits 254 Skigebiete mit etwa 3.000 Aufstiegshilfen und 237 km² Pistennettofläche. Da die Schneesicherheit in niedrig gelegenen Skigebieten sinkt, werden zunehmend Lifte und Skipisten, Speicherteiche und Beschneiungsanlagen in den höchsten Bergregionen gebaut. Auf stagnierende Nachfrage und wirtschaftlichen Konkurrenzkampf antworten die Betreiber von Skigebieten mit Ausbau und Zusammenschlüssen, oft ohne Rücksicht auf die Natur, und ohne Weitblick für die wirtschaftliche Rentabilität.
Bedrohung 2: Strom statt Natur
Für die Umsetzung der Energiewende werden die letzten intakten Fließgewässer und abgelegenen Naturräume durch neue Wasserkraftwerke, Windkraftanlagen und Stromleitungen zerschnitten und ökologisch gestört. Österreich verfügt zum Beispiel bereits über mehr als 5.200 Wasserkraftwerke, dagegen sind nur mehr rund 15% der Fließgewässer ökologisch intakt. Dennoch werden weitere Kraftweke geplant. Dabei wäre der notwendige Umstieg auf erneuerbare Energiequellen bei guter Planung auch ohne weitere Naturzerstörung möglich.
Bedrohung 3: Straßen und Leitungen zerschneiden Naturraum
Durch 139.000 km Verkehrsinfrastruktur kommt man fast überall in Österreich im Sitzen hin. Neben höherrangigen Straßen und rund 5.800 km Bahntrassen durchzieht ein verästeltes Netz an kleinen Verkehrswegen und Forststraßen das Land. Hinzu kommt ein dichtes Stromleitungsnetz von mehr als 6.900 km Länge.
Diese Infrastruktur, die uns Menschen verbindet, zerschneidet aber die Lebensräume zahlreicher Tier- und Pflanzenarten. Unter den österreichischen Verkehrstoten der letzten Jahre finden sich hunderttausende von Hasen, Igel, Marder, Rehe und sogar ein Braunbär. Der entstehende Lärm und die Erschütterungen sind schon für Menschen eine Belastung, umso mehr für hochsensible Vögel oder Fledermäuse.
Lösungen
So können wir alpine Freiräume schützen
Lösung 1: Keine weiteren großtechnische Erschließungen
Das Institut für soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur Wien hat eine Landschaftsanalyse durchgeführt und so die naturbelassenen Landschafts- und Naturräume Österreichs ermittelt, die noch nicht bzw. am geringsten verbaut und erschlossen sind. Diese sollen als alpine Freiräume vor weiteren großtechnischen Erschließungen bewahrt werden. Wir setzen uns mit Kampagnen, Petitionen und rechtlichen Stellungnahmen dafür ein, dass jene großtechnischen Infrastrukturprojekte, welche die Integrität dieser alpinen Freiräume aktuell bedrohen, entweder ganz zurückgestellt oder so neukonzipiert werden, dass die Naturnähe nicht mehr beeinträchtigt wird.
Lösung 2: Effektiver rechtlicher Schutz
In einem weiteren Schritt sollen die letzten alpinen Freiräume verbindlich unter Schutz gestellt werden. Fast zwei Drittel der Freiräume liegen im alpinen Hochgebirge. Der Schutz dieser Alpinregion mit ihren Gletschern, Gletschervorfeldern und Moränen ist von immenser Bedeutung, weil sie besonders sensibel ist und Eingriffe hier besonders schwer wiegen. Anstatt die letzten alpinen Freiräume einer unkoordinierten, flächendeckenden Erschließung durch Verkehr, Massentourismus und Energieerzeugung zu opfern, sollen diese Naturräume Pflanzen und Tieren wieder als Lebens- und Rückzugsraum dienen und den Menschen ausschließlich für eine sanfte Nutzung zur Verfügung stehen. Beispiele sanfter Nutzung wären etwa Naturtourismus, Erholung oder extensive Alm- und Weidewirtschaft.
Es gibt bereits verschiedene rechtliche Möglichkeiten die alpinen Freiräume zu schützen. Eine davon wäre die Ausweisung von Ruhegebieten wie sie von der Alpenkonvention gefordert und im Tiroler Naturschutzgesetz definiert ist. Aber auch raumplanerische Zonierungen wie sie der bayerische Alpenplan vorsieht oder die Umsetzung von „Weißzonen“ wie in Vorarlberg können umsetzungsfähige Modelle sein.
Lösung 3: Strategische Zukunftsperspektive statt Rezepte der 1950er Jahre
Energie- und Tourismuswirtschaft haben in Österreich einen hohen Stellenwert und haben zum Wohlstand vieler Regionen beigetragen. Durch ihre andauernde Expansionstätigkeit nehmen diese Sektoren aber immer mehr Fläche in Anspruch, viel mehr als langfristig ökologisch tragfähig und ökonomisch zukunftsfähig wäre. Es braucht daher eine nachhaltige Raumordnung, auf Basis eines politischen Umdenkprozesses im Umgang mit den Ressourcen Boden und Naturlandschaft. Eine nachhaltige und zukunftsfähige Raumentwicklung muss unterschiedliche Nutzungsansprüche und Naturschutzaspekte sowohl im siedlungsnahen Bereich wie auch in der freien Landschaft berücksichtigen.
Alles, was wir fordern, sind 7% der Österreichischen Alpen für die Natur – und für die Menschen, die Natur schätzen.
Projekte
So schützt der WWF die alpinen Freiräume – eine Auswahl an Projekten
Die letzten Alpinen Freiräume
Im Auftrag des WWF hat das Institut für soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur Wien eine Landschaftsanalyse durchgeführt und so die naturbelassenen Landschafts- und Naturräume Österreichs ermittelt. Es sind dies jene Flächen, die durch den Menschen nicht bzw. am wenigsten verbaut und verändert wurden. Diese Freiräume zeichnen sich insbesondere durch Naturnähe, weitgehendste Technikfreiheit, Abgeschiedenheit und Ruhe aus. Sie sind deshalb aber nicht frei von Nutzung. Die Nutzung als Erholungsraum, sowie eine nachhaltige Land- und Waldwirtschaft sind in diesen Gebieten nicht generell ausgeschlossen. Zu dieser Nutzung gehört auch eine gewisse Infrastruktur, wie Versorgungs-, Alm- und Forstwege. Allerdings ist der Grat zwischen „kaum erschlossenen“ und „durch Erschließung veränderten“ Gebieten sehr schmal.
Die Studie liefert wertvolle Erkenntnisse zur Beanspruchung der österreichischen Landschaft und dient als Grundlage für unsere Arbeit zum Schutz alpiner Freiräume. Sie zeigt jene wertvollen Landschaftsräume, die wir vor Erschließung und Verbauung schützen möchten, damit ein kleines Stück ursprünglicher Natur- und Kulturlandschaften auch noch für künftige Generationen erhalten bleibt.
Widerstand gegen Projektpläne Pitztal-Ötztal
Der Skigebietszusammenschluss Pitztal-Ötztal ist ein Paradebeispiel für naturschädliche Großprojekte ohne Zukunftsperspektive: Auf einem schwindenden Gletscher soll ein bisher weitgehend unberührtes Gebiet neuen Lift- und Pistenanlagen zum Opfer fallen, um zwei bestehende Skigebiete zu verbinden. Dafür müssten 120.000 m3 Fels und ein Berggrat um 40 Höhenmeter abgetragen werden. Drei Seilbahnen, ein Tunnel und ein neuer, asphaltierter Speicherteich mit einem Fassungsvermögen von 104 Millionen Litern Wasser würden errichtet.
Aufgrund der erheblichen Auswirkungen und der massiven Proteste von WWF und anderen Organisationen, sowie einer Petition mit mehr als 160.000 Unterschriften, wurde das Genehmigungsverfahren dieses Projektes im Januar 2020 ruhend gestellt. Doch das Projekt ist noch nicht vom Tisch – das Verfahren kann jederzeit wieder aufgenommen werden.
Initiative Seele der Alpen
Zusammen mit dem Österreichischen Alpenverein und den Naturfreunden hat der WWF die Initiative „Retten wir die Seele der Alpen“ gegründet. Zusammen machen wir auf den Wert und die Gefährdung alpiner Freiräume in Österreich aufmerksam. Gemeinsam fordern wir eine strategische und nachhaltige Raumentwicklungspolitik sowie den Schutz der letzten naturbelassenen Landschafts- und Naturräume vor Erschließung durch Schilifte, Wasserkraftwerke und anderen großtechnischen Infrastrukturen. Damit wollen wir jene 7% der österreichischen Staatsfläche, die noch nicht von Siedlungen, Verkehrswegen oder Schigebieten verbaut sind, für die Natur und für die Menschen erhalten.
Schützen Sie Österreichs Natur
mit einer
Österreich-Patenschaft!
Gemeinsam können wir Österreichs artenreichste Lebensräume und ihre Bewohner schützen. Ihre Patenschaft macht den Unterschied.
Aktuelles zu alpinen Freiräumen
Kaunertal-UVP: WWF sieht Planungsmängel und drohende Kostenexplosion
Klimakrise wurde in Planungen unzureichend berücksichtigt – Tiwag kündigt massive Kostensteigerung von 1,3 auf bereits mehr als zwei Milliarden Euro an – WWF fordert Stopp des Projekts und stattdessen Energiespar- und Photovoltaik-Offensive
„Platzertal bleibt“: Protestaktion mit 50-Meter-Banner gegen Kraftwerksausbau Kaunertal
50-Meter-Transparent quer übers Platzertal gespannt – Größtes hochalpines Moorgebiet akut gefährdet – Umweltorganisationen fordern von Tiroler Landesregierung Unterschutzstellung des Hochtals und Energie-Alternativen
WWF warnt: Sicherheitslage beim Gepatschspeicher endlich ernst nehmen
Straße wegen Gefahr von Hangrutschungen gesperrt – Auftauender Permafrost erfordert Gefahrenprüfung bei Kraftwerk im Kaunertal – Tiwag-Unterlagen für Kraftwerks-UVP veraltet – WWF und “Lebenswertes Kaunertal” fordern unabhängige Untersuchung der Naturgefahren – Landeshauptmann Anton Mattle darf Sicherheitsfragen nicht an UVP auslagern
Good News: Luchse Lukaš, Sofia, Margy, Talia, Jago und Karlo freigelassen
Die Luchse sind Teil einer wichtigen Mission: die Population vor dem Aussterben zu bewahren. Im Rahmen der Projekte LIFE Lynx und ULyCA2 wurden nun Lukaš, Talia und Jago ausgewildert.
WWF warnt: Bergsturz in der Silvretta ähnlich auch im Kaunertal möglich?
Auftauender Permafrost erfordert Gefahrenprüfung bei Tiwag-Kraftwerk im Kaunertal – Landeshauptmann Anton Mattle darf Sicherheitsfragen nicht an UVP auslagern
WWF warnt: Tiwag-Energiestrategie nicht zukunftstauglich
Umweltschutzorganisation kritisiert Tiwag-Konzern wegen fehlendem Erdgas-Ausstieg und Monsterprojekt Kaunertal – Künftiger Wassermangel im Ötztal droht – WWF fordert Energiespar- und Sonnenstrom-Offensive
Neue Studie: Ausbau Kraftwerk Kaunertal bedroht Wasserversorgung im Ötztal
Klimakrise führt zu Wassermangel, Gletscherschwund und höheren Temperaturen im Ötztal – WWF warnt vor verheerenden Folgen durch geplanten Kraftwerksbau – Landesregierung muss Monster-Projekt des Tiwag-Konzerns stoppen
Energiewirtschaftliche Analyse stellt Platzertal-Speicher in Frage
Pumpspeicher des Kaunertal-Ausbaus für Energiewende nicht entscheidend – WWF fordert Stopp des Projekts, Überprüfung technologischer Alternativen und Ausweisung des Platzertals als Naturschutzgebiet
Fast 160 Hektar bisher nicht dokumentierte Moore in Österreichs Alpen identifiziert
Schatzkammern der Artenvielfalt sind zugleich hocheffiziente Kohlenstoffsenken – Kraftwerksbau gefährdet größte unerschlossene Moorlandschaft in Österreichs Hochalpen – WWF fordert absoluten Moorschutz