Tiwag will Ausbau Kraftwerk Kaunertal trotz zahlreicher Risiken und Naturgefahren durchboxen – WWF fordert Stopp und verweist auf Alternativen für naturverträgliche Energiewende
Kraftwerk Kalserbach: WWF und Experten kritisieren mangelhafte Naturverträglichkeitserklärung
Projektunterlagen sind veraltet und unvollständig – WWF und Verein Erholungslandschaft Osttirol fordern Stopp der Kraftwerkspläne im Isel-Gebiet

Kals/Innsbruck, am 1. April 2021. Der WWF und eine Reihe namhafter Naturschutz-Experten und Wissenschaftler widersprechen der von den Projektwerbern vorgelegten Naturverträglichkeitserklärung (NVE) des geplanten Kraftwerks Haslach-Kalserbach im Osttiroler Isel-Gebiet. In einer Stellungnahme, die nun in das Verfahren eingebracht wird, weisen sie grobe inhaltliche Mängel und fachliche Ungenauigkeiten nach. „Durch das geplante Kraftwerk soll dem Kalserbach bis zu 90 Prozent seines Wassers entzogen werden. Ein derart massiver Eingriff hat klarerweise Auswirkungen auf die Ökologie des Flusses. Die von den Projektwerbern vorgelegte Naturverträglichkeitserklärung weist große Lücken auf und ist deshalb klar zurückzuweisen“, sagt WWF-Gewässerschutzexpertin Marianne Götsch.
Univ.-Prof. Peter Schönswetter ergänzt: „Aus Sicht des Wissenschaftlers ist mir völlig unverständlich, wie ohne solider Datengrundlage behauptet werden kann, dass das Kraftwerk keine nennenswerten Auswirkungen auf den Kalserbach sowie auf die Isel hat. Die Projektwerber sollten belastbares Datenmaterial vorlegen, das belegt, dass es keine kumulativen Auswirkungen gibt und dies nicht einfach nur behaupten. Dass das schwierig ist, ist klar, aber eben genau in der Komplexität von Fließgewässerökosystemen begründet.“
Auswirkungen auf Biodiversität wurden nicht geprüft
Die Stellungnahme weist der von den Projektwerbern vorgelegten Naturverträglichkeitserklärung grobe inhaltliche und fachliche Ungenauigkeiten nach. So werden etwa die zu schützenden Lebensräume wiederholt verwechselt. Weiters wird gezeigt, dass die Daten unvollständig sowie veraltet sind und die Erklärung als Ganzes Risiken für das Gebiet nicht ausschließen kann. Auswirkungen auf schutzbedürftige Arten des Gebiets wurden überhaupt nicht geprüft. Obwohl aktuellere Daten zur Verfügung stehen, operiert der Verfasser mit zehn Jahre alten und folglich nicht aussagekräftigen Zahlen. WWF-Expertin Götsch: „Gerade ein dynamisches Flusssystem kann nicht mit derart alten Daten beschrieben werden.“ Die Schlussfolgerungen sind deshalb höchst fraglich und die Erhaltung des Schutzgebietes würde mit dem Bau eines Kraftwerks aufs Spiel gesetzt.
Univ.-Prof. Leopold Füreder dazu: „Unverbaute, naturnahe Alpenflüsse zeigen eine hohe Dynamik und sind dadurch von einer hochwertigen gewässertypischen Biodiversität gekennzeichnet. Pflanzen und Tiere passen sich mit speziellen Strategien und Lebensleistungen an die dynamische Natur an. Werden wie im gegenständlichen Fall diese Rahmenbedingungen wesentlich verändert, zum Beispiel die Abfluss- und Geschiebedynamik, ist eine negative Auswirkung auf die gewässertypischen Arten zu erwarten. Es ist für mich als Gewässerökologen unverständlich, dass die möglichen Auswirkungen nicht sorgfältig geprüft wurden.“
Die Naturverträglichkeitsprüfung ist Teil des behördlichen Genehmigungsverfahrens, in welchem sich das Kraftwerksprojekt Haslach-Kalserbach aktuell befindet. Die von den Projektwerbern vorgelegte Naturverträglichkeitserklärung, die der späteren Prüfung vorangeht, wird von den beteiligten Verfahrensparteien wie dem WWF Österreich, als auch von amtlicher Seite begutachtet. Auf Basis der NVE sowie der dazu eingelangten Stellungnahmen und Gutachten wird von der Umweltabteilung des Landes Tirol eine Entscheidung getroffen, ob das Kraftwerk Haslach-Kalserbach einen bewilligenden oder ablehnenden Bescheid in der Naturverträglichkeitsprüfung erhält.
„Wasser, Pflanzen und Tiere halten sich nicht an fiktive, von Menschen gezogene Projektgrenzen“, argumentiert Renate Hölzl, Obfrau des Vereins Erholungslandschaft Osttirol. Der Verein fordert einen umfassenden Schutz des gesamten Isel-Flusssystems. „Selbstverständlich würde sich die Verbauung des Kalserbaches auf die weit umliegende Natur, wie beispielsweise den Hauptfluss, die Isel, negativ auswirken.“
„Das Kraftwerk Haslach-Kalserbach stellt eine Bedrohung des Naturerbes der nächsten Generationen dar“, ergänzt Marianne Götsch. „Ein Kraftwerk wie dieses darf keinesfalls mittels unfachlicher politischer Weisung durchgeboxt werden, wie es bereits am Lesachbach geschehen ist.“ Der WWF und der Verein Erholungslandschaft Osttirol fordern daher ein Ende der Kraftwerkspläne am Kalserbach und eine Unterschutzstellung der gesamten Isel inklusive ihrer Zubringer als lebendiges Schutzgebiet für die Region.
Rückfragehinweis:
DIin Marianne Götsch
Gewässerschutzsprecherin WWF Österreich
Tel. 0676 83 488 309
E-Mail: marianne.goetsch@wwf.at
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