Tiwag will Ausbau Kraftwerk Kaunertal trotz zahlreicher Risiken und Naturgefahren durchboxen – WWF fordert Stopp und verweist auf Alternativen für naturverträgliche Energiewende
Aufschrei bei Demonstration im Ötztal: Hände weg von unserer Ache!

Umhausen im Ötztal, 19. April 2015 – Am Samstag bot sich Einheimischen und Touristen, die sich nachmittags auf den Weg ins Ötztal machten, ein ungewöhnlicher Anblick: Etwa 100 Personen hatten sich neben der Bundesstraße versammelt, um mit Spruchbändern, Plakaten und Trillerpfeifen lautstark ihren Protest gegen die Errichtung des Kraftwerks Tumpen-Habichen kundzutun. Mit dieser Aktion protestierten die Bürgerinitiative, der Tiroler Raftingverband und der WWF Österreich gegen die Wasserkraftanlage Tumpen, die Bedrohung der Flussnatur und die willkürliche Vorgangsweise beim Bewilligungs-prozess des Kraftwerks. „Obwohl die Fachgutachten negativ sind, wurde per Weisung das öffentliche Interesse ausgesprochen. Das ist ein naturschutz- und demokratie-politischer Skandal!“, so die Demonstranten. Der WWF und die Bürgerinitiative haben Anfang 2015 sowohl beim Verfassungs- als auch beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde eingereicht. Wird ihr stattgegeben, kann das zur Aufhebung des Wasserrechtsbescheides führen. Bereits errichtete Anlagen könnten dann sogar wieder abgerissen werden.
Die Schwarz-Grüne Landesregierung hat das Ausleitungskraftwerk mit einem großen Stau direkt in Tumpen Anfang März bewilligt – obwohl es laut Gutachten wesentliche Anforderungen in punkto Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Naturschutz nicht erfüllt. Der naturschutzrechtliche Bescheid nennt das ‚Tumpener Gstoage‘ eine Tirol weit einzigartige Gewässerstrecke. „Wie kann ein Kraftwerk naturverträglich sein, das diesen wertvollen Abschnitt der Ötztaler Ache zu einem traurigen Rinnsal degradiert?“, fragt sich Gebhard Tschavoll vom WWF. Auch die Rentabilität des Kraftwerks wurde von der Behörde selbst negativ beurteilt. „Der Bescheid und die ganze Vorgangsweise offenbart eine bislang nicht gekannte politische Willkür im Naturschutz. Wenn nicht mehr die sachlich arbeitende, unabhängige Behörde auf Basis fachlicher Grundlagen entscheidet, sondern Wunschzettel von Politikern Entscheidungen erzwingen, dann muss man sich ernsthaft fragen, wozu Verfahren überhaupt gut sein sollen.“, so Tschavoll.
Politische Einflussnahme auf Bewilligungsverfahren
Das Kraftwerk Tumpen-Habichen mit einer geplanten Leistung von 14,48 Megawatt, wird von der Ötztaler Wasserkraft GmbH. betrieben. Hinter der Errichtungsgesellschaft stehen der Ötztaler Bauunternehmer Klaus Auer, die TIWAG, sowie die Standortgemeinden Umhausen und Ötz. Der Umhausener Bürgermeister Jakob Wolf ist auch Klubobmann der Tiroler ÖVP und Mitglied der Landesregierung. In dieser Funktion hat er auch maßgeblich am ‚Maßnahmenpaket Tirol 2014‘ mitgewirkt. Darin wird dem Kraftwerksprojekt Tumpen ohne fachliche Grundlage überwiegendes öffentliches Interesse ausgesprochen. „Der positive naturschutzrechtliche Bescheid beruht offenbar auf einem Schreiben des Landeshauptmanns und des Energiereferenten“, so Tschavoll vom WWF. Eine kritische Öffentlichkeit im Ötztal hat das Projekt unterdessen seit sieben Jahren und bis zuletzt erbittert bekämpft.
Besorgte Bürgerinnen und Bürger geben nicht auf
Stefanie Kuen, Biologin und Sprecherin der Bürgerinitiative Tumpen, erklärt: “Während der Errichtung und beim Betrieb des Kraftwerks können riesige Erdlöcher brechen. Dies haben sogar die Sachverständigen bestätigt. Bis zur Sanierung des Bachbetts wurden durch kleinere Baumaßnahmen bereits mehrere Häuser beschädigt, eines sogar zerstört.“ Die Bürgerinitiative macht deutlich, dass das Projekt mit dem im Dorf liegenden, geplanten Wasserstau gegen den Willen der Bevölkerung umgesetzt werden soll. Zudem liegt der Staubereich mitten in einem Murenstrich. Beim letzten Mureinstoß im August 2012 hat der Acherbach über 100.000 Kubikmeter Steine und Geröll mit sich gebracht. Bewilligt wurde das geplante Kraftwerk jedoch mit einem Auffangbecken von nur 10.000 Kubikmetern. „Wenn nur ein Teil solcher Massen das Staubecken und die Wehranlage erreicht, drohen Überflutungen und Sachschäden. Die angrenzenden Wohnhäuser sind nur 15 Meter vom Staubecken entfernt“, warnt Kuen. „Durch den geplanten Bau des Kraftwerks geht auch eine einzigartige Flussstrecke – die Achstürze – verloren. In einer Region wie dem Ötztal, das vom Tourismus lebt, ist das ein unwiederbringlicher Verlust", betont Kuen.
Outdoor-Tourismus: Letzte Flussjuwele im Oberland erhalten
Auch für den Tiroler Raftingverband spielt der Erhalt großartiger Wildflüsse wie der Ötzaler Ache eine zentrale Rolle. Der vom Kraftwerksbau bedrohte Steilabschnitt ist zwar keine Raftingstrecke; nichts destotrotz ist das Tumpener Gstoage ein unvergleichliches Naturschauspiel. „Wir sind bestürzt über die Ableitungspläne der E-Wirtschaft im gesamten Oberland, denn die intakten Flüsse sind unsere wirtschaftliche Überlebensgrundlage!“, so Marcel Pachler, Verbandsobmann und Unternehmer. „Der Rafting- und Kajaksport ist einer der wichtigsten Eckpfeiler des Naturtourismus und trägt seit drei Jahrzehnten beträchtlich zur Wertschöpfung für die Region bei.“, mahnt Pachler.
Ötztaler Ache: Wild und ungezähmt
Die Ache kann in kurzen Zeiträumen enorme Mengen an Wasser abführen. Bereits bei einem fünfjährlichen Hochwasser fließt die zehnfache Menge, bei einem hundertjährlichen gar die 17-fache Menge des durchschnittlichen Mittelwassers am Tumpener Pegel vorbei. Deshalb existiert die Ötztaler Ache als einer von ganz wenigen Nordtiroler Flüssen noch in der jetzigen Form, ohne Stau und Unterbrechung.
Fotos der Kundgebung sind auf telefonische Rückfrage unter Tel. 0676/83 488 203 erhältlich.
Rückfragehinweis:
Claudia Mohl, WWF-Pressesprecherin, Tel. 0676/83 488 203, E-Mail: claudia.mohl@wwf.at
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