Tiwag will Ausbau Kraftwerk Kaunertal trotz zahlreicher Risiken und Naturgefahren durchboxen – WWF fordert Stopp und verweist auf Alternativen für naturverträgliche Energiewende
WWF-Studie: Schutz der Flussjuwele Oberösterreichs und Energiewende sind vereinbar

Wien, 27.7.2017 – Nach dem Pariser Klimaabkommen muss Österreich den Ausstieg aus fossiler Energie zum Prinzip seiner nationalen Energiestrategie machen. Dies kann jedoch zu Interessenskonflikten führen, da auch erneuerbare Energien aus Sonne, Wind, Biomasse und Wasser nur mit Rücksicht auf die Natur genutzt werden dürfen. „Wertvolle Naturräume sind als Lebensgrundlage für uns alle unverzichtbar. Das muss auch bei der Nutzung der Erneuerbaren eingeplant werden“, erklärt Bettina Urbanek vom WWF. Der WWF hat die Vereinbarkeit von Energiewende und Gewässerschutz nun erstmals in einer aktuellen Studie auf Bundesländerebene untersuchen lassen. „Die gute Nachricht ist, dass mit einer gut geplanten, ambitionierten Energiestrategie auch Oberösterreichs Flussjuwele dauerhaft geschützt werden können“, sagt Urbanek.
Zu diesem Ergebnis kommt die vom WWF vorgelegte Studie „Energiewende und Gewässerschutz“, erstellt von Energieexperte Thomas Steffl auf Basis der Bundesländer-Energiebilanzen der Statistik Austria und der Studie „Energiezukunft Österreich 2050“ von WWF, GLOBAL 2000 und Greenpeace. Mit diesen Daten wurde ein Szenario einer naturverträglichen Energiewende für Oberösterreich bis 2050 errechnet und mit der aktuellen Energiepolitik des Bundeslandes verglichen. „Wir bieten der Oberösterreichischen Landesregierung und den Energieversorgern damit eine fachliche Basis, um die Energiepolitik wieder an den Zielen des Pariser Klimaabkommens auszurichten. Energieeinsparungen und ausgewogene Förderung der erneuerbaren Energien sind das Gebot der Stunde“, betont Jurrien Westerhof, politischer Leiter beim WWF Österreich.
Zahlenmäßig bedeutet das, dass Oberösterreich für das Gelingen der Energiewende bis 2050
den Endenergiebedarf jährlich um rund 25.100 GWh verringert und einen Endenergieverbrauch von rund 38.000 GWh/Jahr fast zur Gänze aus erneuerbaren Quellen deckt.
Reduktionsziele mindestens so wichtig wie Ausbau erneuerbarer Energien
Die WWF-Berechnungen belegen, dass in Oberösterreich eine Reduktion des Endenergiebedarfs um 25% bis zum Jahr 2030 und um 40 % bis 2050 machbar ist. „Den Energieverbrauch insgesamt zu senken ist die wichtigste Voraussetzung einer naturverträglichen Energiewende, das spart Geld und schont die Natur“, so Jurrien Westerhof. Verbindliche Energie-Einsparziele, auch als absolute Werte mit konkreten Zielpfaden, würden die Oberösterreichische Energiestrategie deutlich aufwerten.
Konkrete Ziele für Ausbau erneuerbaren Energien nötig
Die aktuelle oberösterreichische Zielsetzung durch das Konzept „Energie-Leitregion OÖ 2050“ strebt eine Versorgung mit 80 bis 97% erneuerbarem Strom bis zum Jahr 2030 an. „Prinzipiell ist die Erweiterung der Oberösterreichischen Energieziele auf 2050 begrüßenswert. Als nächsten Schritt braucht es dazu auch einen klaren Zielpfad und konkrete Festlegungen für den Ausbau von erneuerbaren Energien, um die notwendige Planungssicherheit zu geben“, unterstreicht Westerhof.
Oberösterreichs Flussjuwele müssen nicht für die Energiewende geopfert werden
Nur noch wenige Fließgewässer in Österreich sind natürlich oder naturnah erhalten. Auch in Oberösterreich gibt es Flussjuwele die für Natur und Menschen einen unersetzbaren Wert haben. Dazu zählen unter anderem Rettenbach, Plaissabach, Pesenbach, Enknach und viele noch wenig beeinflusste Oberläufe an Oberösterreichs Flüssen.
Die neue Studie zeigt, dass 665 km wertvolle Fließstrecken (13%) in Oberösterreich unter strengen Schutz gestellt werden können, die noch nicht unter Schutz stehen. Sie können somit auch noch für unsere Enkelkinder natürlich erhalten werden. Das WWF-Szenario respektiert die ökologischen Grenzen, Gewässerstrecken werden nur soweit energiewirtschaftlich genutzt, wie das für das zukünftige Energiesystem benötigt wird.
In Oberösterreich ist das Potenzial zum Wasserkraftausbau bereits ausgeschöpft, der 2007 geplante Ausbau um 8% bis 2030 ist bereits realisiert. „Wasserkraft ist und bleibt eine wichtige Stütze der Versorgung mit erneuerbarer Energie in Oberösterreich. Ein weiterer Ausbau der Wasserkraft liefert jedoch keinen relevanten Beitrag zur Energiewende, hat aber in den meisten Fällen unverhältnismäßig hohe ökologische Verschlechterungen zur Folge“, erklärt Urbanek.
Der Schutz und der Erhalt intakter Flussstrecken gehört weltweit zu den wichtigsten Naturschutzzielen. Diese Bedeutung von intakten Fließgewässern und von Wasser als Ressource der Zukunft spiegelt sich rechtlich auf europäischer Ebene in der Wasserrahmenrichtlinie, im nationalen Wasserrecht und insbesondere im EU-Verschlechterungsverbot wider.
Größtes Geothermie-Potenzial in Österreich und nötiger frischer Wind für Windkraft
Für eine gelungene Energiewende ist die Erschließung des Potenzials der tiefen Geothermie nötig, die derzeit vorwiegend für Thermalbäder genützt wird. Für den Ausbau in den Bereichen Wärmenetze und auch Verstromung benötigt es entsprechende Technologieentwicklungen. Die tiefe Geothermie kann dann mit einem Ausbaustart ab 2030 bis 2050 einen Beitrag von 2.750 GWh leisten.
Das WWF-Szenario sieht eine Nutzung des Windkraftpotenzials von rund 1.650 GWh bis 2030 und 2.750 GWh bis 2050 vor. Eine Überarbeitung der Kriterien für den weiteren Ausbau in Oberösterreich kann einen neuen Aufschwung für die Unternehmen und Arbeitsplätze in der Windindustrie in Oberösterreich bringen.
Darüber hinaus werden hocheffiziente Wärmepumpen eine bedeutende Rolle spielen.
Der politische Leiter des WWF, Jurrien Westerhof fasst zusammen: „Wir setzten in Oberösterreich auf eine Sonnenenergie-Nutzung bis 2050 mit einem Plus von 4.900 GWh bei Photovoltaik und von 3.277 GWh bei Solarthermie. Windkraft braucht weiteren Ausbau und mittelfristig hat Oberösterreich große Chancen bei der Nutzung von tiefer Geothermie im Bereich Wärmenetze und Verstromung.“
Oberösterreich braucht auch eine weitere Steigerung der naturverträglichen Biomasse-Nutzung, insbesondere von Reststoffen aus der Land- und Forstwirtschaft. Daraus könnten zusätzliche 1.653 GWh gewonnen werden.
WWF-Fazit: Bis 2050 gelingt so der vollständige Ausstieg aus fossilen Energieträgern – und das auf naturverträgliche Art und Weise. Große wirtschaftliche Potenziale können genutzt werden und viele neue Arbeitsplätze in Oberösterreich entstehen.
Zur Studie „Gewässerschutz und Energiewende“:
Mit der „Energiezukunft Österreich“ (Veigl 2015) haben WWF, GLOBAL 2000 und Greenpeace schon im Jahr 2015 ein umfassendes Szenario zur Halbierung des Energiebedarfs und zur Versorgung Österreichs mit 100 % erneuerbarer Energie bis 2050 vorgestellt. Diese Studie wurde 2017 aktualisiert. Vorliegende Studie rechnet den jeweiligen Bundesländern Österreichs sowohl die künftige Energienachfrage als auch das ausbaufähige Potenzial erneuerbarer Energien anhand von klaren Kriterien zu. Dadurch entstanden naturverträgliche und aufeinander abgestimmte Energieentwicklungspfade für alle neun Bundesländer, die ein sinnvolles, gesamtösterreichisches Konzept ergeben.
Kurzstudie „Energiewende und Gewässerschutz in Oberösterreich“ zum Download: www.wwf.at/energiewende-und-gewaesserschutz-oberoesterreich
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