Geplanter Ausstieg aus fossilen Energieträgern muss mit klaren Fristen geregelt sein – Mehr Geld für ärmere Länder und stärkere Rolle für Naturschutz gefordert
Österreichs Stromanbieter hinken Pariser Klimazielen hinterher
Wien, am 8. November 2018. Die beiden österreichischen Umweltschutzorganisationen GLOBAL 2000 und WWF Österreich haben die heimischen Stromanbieter unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse wurden heute, Donnerstag, im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien präsentiert. Dabei wird deutlich: Die wenigsten Angebote sind so sauber, wie behauptet wird. Mit 36 Prozent wird mehr als ein Drittel des in Österreich verkauften Stroms mit zugekauften Nachweisen um-etikettiert und „grün gewaschen“. Nur zwei der 31 teilnehmenden Stromanbieter erreichen die Top-Bewertung „Treiber der Stromzukunft“. Auf gutem Kurs für die Erfüllung der Pariser Klimaschutzziele ist nur ein Prozent des heimischen Strommarkts. GLOBAL 2000 und der WWF geben Kundinnen und Kunden mit dem neuen Stromanbieter-Check eine fundierte Orientierungshilfe zur Hand. Zugleich wird die Bundesregierung aufgefordert, ein effektives Anreizsystem für eine naturverträgliche Energiewende zu schaffen.
Der Begriff „Grünstrom“ stammt aus der gesetzlich geregelten Stromkennzeichnung. Dabei kann es sich tatsächlich um Strom aus erneuerbaren Quellen („Ökostrom“) handeln oder um Strom aus anderen Quellen, für den ein Stromnachweis aus erneuerbaren Energiequellen eingesetzt wird. „Der Verkauf von Strom aus unbekannter Herkunft ist dank des Einsatzes der Umweltorganisationen seit 2015 verboten. Dennoch können – vollkommen legal – Strom und Nachweise getrennt voneinander gehandelt werden. Diese Art von Umetikettierung macht es etwa möglich, Kohlestrom einzukaufen und diesen beispielsweise mit einem Wasserkraft-Nachweis als Grünstrom zu deklarieren”, erklärt Energieexperte und Studienautor Thomas Steffl. Aus Kundensicht ist eine Rückverfolgung kaum möglich. Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, die Menge an gekoppelt gehandeltem Strom und Nachweisen auszuweisen.
„Der neue Stromanbieter-Check zeigt, dass auf dem Weg zu einer naturverträglichen Energiewende noch große Herausforderungen vor uns liegen“, sagt Hanna Simons, Leiterin Naturschutz beim WWF Österreich angesichts der ernüchternden Ergebnisse. „Noch immer stammen 24 Prozent der Stromerzeugung in Österreich aus fossilen Energieträgern. Darüber hinaus ist die große Mehrheit der so genannten Grünstromanbieter nicht so sauber, wie sie gerne vorgeben“, kritisiert Simons und fordert daher ein Umdenken: „Es gibt einen Unterschied zwischen echtem Engagement für die Umwelt und werbetauglicher Inszenierung. Privathaushalte haben ein Recht darauf zu erfahren, wo ihr Strom wirklich herkommt“, so Hanna Simons. Das Stromanbieter-Ranking 2018 legt einen verschärften Fokus auf Naturschutzkriterien. „Klimaschutz darf nicht zulasten von Naturschutz gehen. Erneuerbare Energien sind nur dann sauber, wenn auf die Umwelt Rücksicht genommen wird. Viel zu oft werden Naturjuwele unter dem Deckmantel angeblich sauberer Energie unwiederbringlich zerstört“, warnt Hanna Simons.
„Die gute Nachricht für Stromkundinnen und -kunden lautet: Es gibt naturverträgliche, saubere Vorreiter unter den Anbietern in Österreich. Die schlechte Nachricht: Leider gibt es immer noch viel zu viele, die hinterherhinken oder auf fossile Quellen setzen“, erklärt Reinhard Uhrig, Energiesprecher von GLOBAL 2000. Viele der in Österreich aktiven Stromanbieter sind über Finanzbeteiligungen miteinander eng verwoben, wie Reinhard Uhrig erklärt: „Einerseits sind die Gesellschaften und Unternehmensgruppen historisch gewachsen, andererseits werden einzelne Geschäftsbereiche bewusst ausgelagert, um diese als reine Grünstromanbieter am Markt zu positionieren. Einige deutsche Atomkraftkonzerne haben dies genutzt, um sich in bestehende österreichische Energieversorger einzukaufen oder direkt eigene ‚grüne‘ Ableger in Österreich zu betreiben. Die Profite fließen immer noch in die Mutterkonzerne zurück. Das heißt: Atomstrom-Finanzierung mit dem Geld der Grünstromkundinnen und -kunden“, sagt Energieexperte Uhrig.
WWF und GLOBAL 2000 sind sich einig: Gerade Stromanbieter, die mehrheitlich oder gänzlich in öffentlicher Hand sind, stehen in der Pflicht ihr Engagement für eine nachhaltige Energiewende zu verstärken. Um Österreichs Strommarkt tatsächlich fit für die Zukunft zu machen, braucht es nicht nur informierte Endkundinnen und -kunden. Auch die Politik muss handeln und endlich umweltschädliche Subventionen in fossile Technologien stoppen. Zugleich muss Naturverträglichkeit ein stärkerer Faktor bei der Förderung von echtem Ökostrom werden.
Hintergrund: Bittere Bilanz des Stromanbieter-Checks 2018
Die am Stromanbieter-Check 2018 teilnehmenden Anbieter decken 73 Prozent (48 von 66 Terawatt-Stunden) des österreichischen Endverbrauchs an Strom ab. Bei der Auswertung wurden verbundene Gesellschaften jeweils als Gruppe zusammengefasst und somit 23 Unternehmensgruppen im Detail betrachtet. Eine kleine Kategorie von nur zwei Stromanbietern erhält die Top-Wertung „Treiber der Stromzukunft“, dicht gefolgt von vier Stromanbietern der Kategorie „Solide Grünstromanbieter“. Die übrigen Unternehmen verteilen sich auf die Kategorien „Stromanbieter im Wandel“ (9), „Stromanbieter mit großen Herausforderungen“ (5) und „Fossile Nachzügler“ (3). Wird auch der jeweilige Stromabsatz miteingerechnet, zeigt sich ein ernüchterndes Bild. Die Kategorie der „Treiber der Stromzukunft“ stellen lediglich 0,2 Prozent des Strommarktes in Österreich, die Kategorie „Solide Grünstromanbieter“ nur 0,8 Prozent und vier Prozent des Strommarktes entfällt auf „Stromanbieter im Wandel“ Dafür entfallen 39 Prozent des Gesamtmarktes auf „Stromanbieter mit großen Herausforderungen“ und 28 Prozent auf „Fossile Nachzügler“.
Die gesamte Studie zum Download unter:
www.wwf.at/stromanbieter-check
Rückfragehinweis:
Vincent Sufiyan, WWF Pressesprecher, 0676 834 88 308, vincent.sufiyan@wwf.at
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